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Die erste Auswanderung der Mennoniten nach Südrussland  

Aus den nachgelassenen Papieren des Kirchenlehrers

Peter Hildebrand. Verfasst im Jahre 1888

(Die ursprüngliche Schreibweise des damaligen Deutsch ist beibehalten worden. Die Überschriften wurden von mir hinzugefügt )

Teil I

   

Die Vorbereitung zur Auswanderung

    Ich möchte nun erzählen von dem Anfang und dem Weitergang der Auswanderung der Mennoniten aus Danzig nach Rußland und wie sich das entwickelt und zugetragen hat. Ich glaube, daß keiner mehr da ist, der dieses berichten könnte. Es ging hier wie bei dem Auszuge der Kinder Israel aus Egypten in der Wüste. Auch hier sind Gottes Wege anbetungswürdig, wohl dem, der darauf achtet!

Der überraschende Besuch des Gesandten vom russischen Kaiserhof

    Ich wohnte in der Danziger Gegend unter einer christlichen Gesellschaft. Im Jahre 1786, ausgangs August, trug es sich zu, daß ich einen Besuch bei meinem Bekannten und Freunde N. in Neuendorf, eine Meile von Danzig, machte. Dieser erzählte, daß die russische Zarin einen Herrn hierher geschickt, um Leute anzuwerben zur Niederlassung in Rußland, besonders sei es ihm, dem Herrn, um Mennoniten zu tun.

    Dies war ein Lichtstrahl in meiner Seele; hierin sah ich einen Gotteswink; dies war zugleich auch ein Aufruf für mich. Da ich weder Haus noch Land hatte, sondern zur Miete wohnte, so dachte ich, es sei Gottes Wille, daß meine Auswanderung bis jetzt aufgehalten werden mußte.

   Vor drei Jahren, als ich über See mein Brot in einem andern Land suchen wollte, und schon reisefertig war, mußte eine Beinquetschung mich daran verhindern. Bei diesem Aufrufe nun empfand ich eine große Freudigkeit in mir, dem Rufe zu folgen: indem ich glaubte, daß der Herr mit im Spiele sei.

   Getrost wanderte ich wieder zurück in mein Dorf zu meinem Wirt. - Meine Erzählung erregte in ihm ein großes Aufmerken, so daß er in die Worte ausbrach: „Wenn 10 Familien ziehen, dann bin ich mit meiner Familie die 11te." Es war gerade Sonntag, als ich nachhause kam. Was geschah?

    Montag, 12 Uhr des Tages, kam ein russischer Wagen, mit vier Pferden bespannt, vor unsere Tür gefahren, worin der vornehme Herr mit einem Diener, wie es einem bedeutenden Herrn zukommt, sich befand,- ein Mann, dem Energie und Geistesgegenwart aus den Augen leuchtete. Er wünschte hier zu Mittag zu essen und weil mein Wirt nicht zuhause war, bewillkommte ich ihn, so gut ich wußte und konnte und versprach auch sogleich, die Vorbereitungen zu treffen. Jetzt kam auch der Wirt nachhause und es wurde ein Mittag zubereitet mit wilden Enten und Fischen, was in einer Stunde fertig war.

    Mein Wunsch war ja ohnedem nach Rußland zu ziehen, denn ein eigenes Landgütchen hatte ich nicht, und es konnte mir hier in Danzig ein solches auch nie zuteil werden, weil ich kein Vermögen dazu hatte. Dies Vorgefühl gab mir vollen Mut. Als der Herr uns das Manifest der Kaiserin Catarina vom 27. Juli 1763, in 21 Punkten abgefaßt, vorlegte, befestigte dies die in mir schon angefachten Entschlüsse noch mehr, und durch die Verbreitung dieses Gehörten entschlossen sich auch immer mehrere andere nach Rußland zu ziehen.

   Ich merkte mir alles und sprach zu solchen, die mir am zugänglichsten schienen, indem ich sie aufmunterte, daß sie doch auch mitziehen sollten. Da aber alle, reich oder arm, gleich viel Land und gleich viel Hilfsgelder bekommen sollten, so war es vielen nicht nach ihrem Sinn und die hielten sich lieber neutral.

    Der General-Consul bat: „Suchet euch noch einen Deputierten und schicket mir die Wahlliste mit eurer Unterschrift zu, ich werde diese durch einen Courier an meine Monarchin absenden und darüber in Kurzem Antwort erhalten, und wie ich fest hoffe, zu eurer Zufriedenheit."

    Von preußischem Grund und Boden durfte keiner sich unterstehen auch nur von Nach-Rußlandziehen zu sprechen, oder eine Vollmacht zu unterschreiben. Vom Danziger Gebiet (das unter polnischer Herrschaft stand) durfte es zwar keinem gewehrt werden; da aber der Neid auf Danziger Seite auch groß war, so schreckte ein Jeder zurück.

    Nun wurde endlich eine Vollmacht von Interessenten aufgesetzt und unterschrieben und dem General-Consul vorgelegt. „Brav! meine lieben Kinder", sagte er, „ich werde das Meinige dabei tun. Wir werden gleich einen Courier nach Petersburg abschicken. Unsere Monarchin, die huldreiche Catarina , wird aufs Frühjahr eine Reise nach der Krim unternehmen, da werden die Deputierten sie hoffentlich zu sprechen bekommen. Macht euch nur reisefertig." Die drei Deputierten waren: Jacob Höppner, Johann Bartsch und Jacop v. Kämpen. Die Vollmacht unterschrieben ihrer 60, darunter auch ich.

    Nach kurzer Zeit kam aus Petersburg die Bewilligung unseres Verlangens. Nun erhob sich eine große Bangigkeit, besonders bei denen, die als Deputierte ausersehen waren und die Reise unternehmen sollten, von Frau und Kindern einen solchen weiten Weg zu gehen: Gott weiß, was ihnen begegnen konnte! Dann waren dies die Trostesworte: „Gehet, Gott wird mit euch sein, denn wir sehen, hier ist kein Auskommen für unsere Kinder; wir wollen uns alle Gott und dessen erbarmende Gnade empfehlen. Er wird Glück zur Sache geben."

    Nun schlug der eine Deputierte Jacop v. Kämpen zurück, unter dem Vorwande, seine Eltern wollten ihn nicht gehen lassen, denn er war noch unverheiratet. Die Reise der beiden andern wurde nun schleunigst beschickt mit einem Geleitschreiben des russischen Bevollmächtigten G. Trappe; denn die Herbstzeit rückte heran, es war kurz vor Oktober.

 

Die weite und gefährliche Reise zur Erkundung der neuen Heimat

    Die Deputierten kamen auch nach vieler stürmischer Wetterbegleitung glücklich in Riga(Hier) an. Von hier ging es nach Krementschug, 1.300km weit, schon in der Ukraine (Hier), dann nach noch mal 400 km bis Cherson, am Schwarzen Meer(Hier). Den Winter brachten sie größtenteils in Cherson zu. Im Frühjahr 1787 reiste die Kaiserin nach der Krim (Hier), wo die Deputierten sie dann auch oftmals gesehen, in Krementschug aber die Gnade und das Glück hatten, Ihrer Kaiserlichen Majestät vorgestellt zu werden.

Die Begegnung mit der russischen Monarchin

   Es war ihnen beizeiten zu wissen gegeben, daß sie der großen Monarchin würden die Hand küssen, welches auch geschah, als bei der Vorstellung die Kaiserin ihnen die Hand reichte. Dies war den 13. Mai 1787.

   Einer der Deputierten (wahrscheinlich Höppner) redete sie ungefähr mit folgenden Worten an: „Allergnädigste Monarchin! beinahe 300 Familien unserer Glaubensgenossen, denen der Ruf von Euer Kaiserlichen Majestät weisen, milden und wohltätigen Regierung zu Gemüte gekommen, haben uns abgeschickt, um zur Ansiedlung geeignete Ländereien vorzugsweise am Dneprfluß auszusuchen und für diejenigen, die herziehen, dieselben Gnadenwohltaten alleruntertänigst zu erbitten, welche Euer Majestät in einem gedruckten Manifest allergnädigst den Auslaendern überhaupt zugesichert haben. Höchst glücklich schätzen wir uns, Euer Majestät huldvolles Antlitz zu sehen, Ihrer Person uns zu Füßen zu legen, und uns und unsere Glaubensgenossen der größesten Monarchin Schutz und Gnade zu empfehlen" - worauf die Kaiserin ihnen die erwähnten Gnadenverheißungen zusicherte.

   Diese sind auch erfüllt worden, was die jetzt noch Lebenden bezeugen müssen. Wir haben schon (heute schreiben wir das Jahr 1836) den 4ten Kaiser nach ihr, Kaiser Nicolai, und noch sind uns keine Privilegien geschmälert worden.

    Nach der Vorstellung bei der Kaiserin in Krementschug mußten sie die Monarchin nach der Krim (Hierbegleiten, wozu sie sich auch willig und bereit finden ließen, obzwar sie sich gerne auf die Rückreise begeben hätten, denn bei dem großen Aufwand, den ein solcher Kaiserzug verursacht, konnten sie nicht eigene Privatinteressen vorziehen, sondern mußten mit, um die Abfertigung nach Petersburg zu bekommen, wo die Eingabe wegen das Privilegiums geschehen mußte.

   Auf Anregen der Deputierten, daß sie Willens seien, um die Ausfertigung eines Privilegiums einzukommen, hatte der Reichsfürst Potemkin  ihnen geantwortet, daß dies unnötig sei, da sie ja auch seine Genehmigung in Allem hätten. Auf die untertänigste Bemerkung der Deputierten, daß Sr. Durchlaucht (Potemkin) sterblich sei, die Krone aber nicht aussterbe, hat er nicht nur eingewilliget und zu ihnen gesagt: „Es ist gut, es ist gut, euren Einfall lobe ich", sondern auch ein Empfehlungsschreiben ausfertigen lassen und einige Dukaten zum Geschenk gegeben. Wegen des Privilegiums aber einzukommen, sagte er, wäre erst dann zeitgemäß und notwendig, wenn die Kolonien schon ansässig sein werden.

Die russische Krone trug die Kosten der Reise

   Die Reisekosten bekamen sie außerdem von der Hohen Krone ausgezahlt, wie es früher durch den Bevollmächtigten Trappe und auf Vorstellung des GeneralConsuls ihnen zugesichert worden, wie folgender Akt dieses beweiset, wo unter anderem folgendes zu lesen stand:

"zur Bestreitung ihres Unterhalts ... monatlich jedem vier Dukaten, oder den Wert davon in russischer Münze mit elf Rubel ... Freie Reisekosten zu Wasser und zu Lande, nicht allein bis Cherson, sondern auch im künftigen Frühjahr wieder hierher zurück, entweder über Warschau, oder über Petersburg ... Freies  Quartier,   sowohl   auf  der  Reise,   als   auch  bei  ihrem  Aufenthalt  in Cherson ... Daß, wenn auf diese ihre Sendung im künftigen Frühjahr ein paar Hundert Mennoniten-Familien  nach  Rußland  ziehen   sollten,   S.   Durchlaucht,   der  Fürst, diesen Deputirten für ihre Mühe und Strapatzen von der weltbekannten Großmut Ihrer Kaiserlichen Majestät ein Gnadengeschenk huldreich bewirken werde.

   Übrigens werden obenbenannte Deputirte, so wie sie die Grenzen erreichen, sich bei dem Befehlshaber jeden Orts zu melden haben, da sie sich dann gewärtigen dürfen, daß ihnen zu ihrem sichern Fortkommen und zur Besichtigung derer noch unbesetzten Kronslandereien aller Beistand geleistet, für die Vermehrung der Bevölkerung werktätig befördert werden.

   So geschehen, Danzig den 22. September 1786. G. Trappe

Russisch-Kaiserlicher Collegien-Assessor

    Von da reiseten sie voller Sehnsucht wieder zurück nach Krementschug, wo sie die Abfertigung nach Petersburg in Gnaden erhielten, und reiseten begleitet von vielen Glückwünschen verschiedener Standespersonen, mit einem Courier ab und soweit glücklich, bis nahe an Petersburg das Fuhrwerk durch das starke und unvorsichtige Fahren des Postknechts umgeworfen, wobei Höppner ein Bein brach. Dies verursachte ihm viel Schmerzen, auch nur den Überrest zu fahren.

 

Am Kaiserhof in Petersburg

    Hier in Petersburg wurde ihm gleich ein Arzt gegeben und alle Mittel angewandt, das Bein zu heilen, welches auch bald hergestellt wurde. Bei Hofe durfte zu der Zeit niemand mit Stiefeln an den Füßen erscheinen, sondern nur in Strümpfen und Schuhen, welches dem kaum genesenen Beine sehr dienlich war. Sieben Wochen war ihr Aufenthalt in Petersburg.

   Die Größten am Hofe wußten, daß es der ernste Wille der Monarchin sei, die wüsten Gegenden zum Ansiedeln herauszugeben, so wollten die Großen es auch, daß die Deputierten Gönner finden sollten; sie waren alle ihnen geneigt und suchten unser Aller Bestes. Es verzog sich aber doch in die Länge.

   Den jetzt in Gott ruhenden Kaiser Paul, der zu der Zeit noch Großfürst Thronfolger war, hatten sie nötig zu sprechen. Sobald das Bein soweit heil war, daß der Deputierte Höppner zur Not ausgehen konnte, mußten sie alle Tage bei Hofe sein, um die Gelegenheit abzuwarten, vorgestellt zu werden. In der Zwischenzeit wurde ihnen von einem Fürst gesagt: „Meine lieben Kinder, laßt euch nicht die Zeit lang werden, bei Hofe ist viel zu tun; wenn euch denn doch die Zeit lang wird, so kommt zu mir unangemeldet. Ich versichere euch das unveränderte Wohlwollen meiner Kaiserin." Eines Morgens in der Frühe kam ein Adjutant zu ihnen ins Quartier mit der Meldung: „Heute werdet ihr dem Großfürsten vorgestellt werden." Jetzt machten sie sich gleich fertig, ins Palais zu kommen.

Die Begegnung mit dem Thronfolger

   Der früher gedachte Bevollmächtigte Hofrath Trappe, der jetzt zum Direktor und Curator über die Mennoniten ernannt war, war bei ihnen. Nach einigen Minuten kam ein Anderer und sagte, sie sollten sich fertig halten, denn bald werden Ihre Kaiserliche Hoheiten, der Großfürst mit Seiner Gemahlin, kommen. Sie dankten für die Nachricht und baten um die Gunst, allein vorgestellt zu werden. Dieser entfernte sich, nach einiger Zeit kam er wieder, ergriff des einen Hand und führete sie durch einen großen Saal, wo viele große Herren den Großfürsten erwarteten, in einen abgelegenen Saal.

   Kaum waren sie nach der Ordnung aufgestellt, als Ihre Kaiserliche Hoheiten, der Großfürst mit Seiner Gemahlin, durch den großen Saal kamen. Durch den Adjutanten war den Deputierten bekannt gegeben, daß sie würden zum Handkusse zugelassen werden. Sobald sie ihre Verbeugung gemacht, trat der Großfürst zu ihnen und reichte ihnen die Hand, wie auch die Großfürstin. Nach abgelegtem Handkusse trat S. Kaiserliche Hoheit hinzu und küßte ihnen auf die Wange.

    Es hat hier Freudentränen gekostet, hier verehrten sie in Sr. Kaiserlichen Hoheit ihren künftigen Herrscher und baten sich von ihm für die Zukunft Seine Gnade aus, welche er auch bei seiner Regierung, namentlich durch die Erteilung des GnadenPrivilegiums, uns genugsam hat zukommen lassen.

Teil II

Was so alles mit den Familien von Höppner und Bartsch geschah, während diese in Russland waren

     In der langen Abwesenheit der Reisenden von den Ihrigen (es dauerte über ein Jahr) läßt sich denken und es war auch so, daß mancherlei in ihren Familien vorgefallen. Dem Deputierten Höppner seine Frau war beinahe sieben Wochen krank, so daß sie von sich selbst nichts wußte; alle Hoffnung für ihr Leben war fast aus. Es ist leicht zu denken, daß dies ein großer Schmerz für die Kinder war und dann dazu, daß so lange Zeit keine Nachricht vom Vater kam. Dies war auch für die Krankheit der Frau eine Ursache mit, und hielt auch größtenteils die Besserung zurück.

    Die umherwohnenden Nachbaren trugen durch Äusserung ihres Unglaubens und der Zaghaftigkeit noch einen fast größeren Teil der Schuld des Unheils bei, das dieses Haus besuchte. Natürlich waren auch Leute, die glaubensfest genug waren zu hoffen, daß alles zum Besten ausfallen werde. Und da täglich Leute eintrafen, die um Nachricht begierig waren, so hatten die Ausdrücke ihrer Meinung jene wechselseitige Wirkung und fachten mitunter die schon sinkende Hoffnung aufs Neue an.

 

Der Rat des Arztes für die verzweifelnde Frau des Deputierten

    Ein gutgesinnter braver Mann schickte einen Arzt zu uns, um der kranken Frau Hilfe zu bringen und, wenn es möglich, ihre Wiederherstellung zu befördern. Nachdem der Arzt den Zustand der Patientin untersucht, sprach er: „Die Krankheit ist nicht zum Tode. Das beste Mittel würde sein, wenn unverhofft eine glaubwürdige Nachricht von ihrem Manne einkäme, daß er nämlich gesund sei und bald nachhause kommen werde."

    Nun kamen eines Tages sechs Männer in großer Aufregung, als wenn ihnen so etwas Erfreuliches passirt sei, und frugen, ob wir schon Nachricht hätten. Als wir dies verneinten, sagten sie: „Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, dann werden wir erwünschte Nachricht bekommen." Wo sie es her hatten, wer weiß es. Doch war dies für uns eine große Aufmunterung. Sie erzählten, daß sie ihr Vermögen verkauft, und sich auf Danziger Grund eingemietet, in unserer Nähe auf der Werdel. Dies gab uns wieder Mut. Fast Täglich kam Einer von ihnen, um Nachricht einzuziehen. Sie suchten und fanden ein Schiff, nach Riga zu fahren.

 

Die ersten sechs mennonitischen Familien ziehen los

    Jetzt kam auch ein Schreiben von den Deputierten aus Petersburg an ihre Familien. Der Brief wurde gleich nach Überlesung zu diesen sechs Familien geschickt. Was dies für eine Freude bei den Leuten verursachte, ist kaum mit der Feder zu beschreiben. Wenn in dem Schreiben auch nichts von dem Ergebniß der Reise und von, den Abmachungen erwähnt war, so ermahnten sie doch ihre Frauen sich allerhand Samen und Saatgut anzuschaffen, und dies war schon genug, unsern Glauben zu stärken.

   Wenn ich noch jetzt bedenke, wie diese guten Leute so wenig Vermögen besassen, erregt es in mir auch heute noch Bewunderung; aber Gott war ihr Trost und ihre Stärke, und für mich war dies eine abermalige Bestätigung, daß Gott im Werke sei. Sie machten sich nun ganz reisefertig. Der Schulz des Dorfes, wo sie wohnten, gab ihnen einen Schein, daß sie auf Danziger Grund und Boden wohnen und gesonnen seien, nach Rußland zu ziehen, und daß die Dorfgemeinde nichts dawider habe.

   Da der Lebenswandel dieser sechs Familien unsträflich war, so wünschte man ihnen Glück zur Reise, war in dem Schein gesagt. Diese sechs Mennoniten-Familien waren: Hans Hamm, Kornelius Willms, Peter Regehr, Jacob Harder, Dietrich Isaac und sein Schwager Abraham Krahn, der noch unverheiratet war. Diese reiseten zur See nach Riga.

 

Begegnung der Deputierten mit diesen sechs Familien in Riga

   Da nun die beiden Deputierten, wie auch der Director Trappe auf ihre Eingabe in Gnaden die Erlaubnis erhalten hatten, daß sie per Post reisen durften, so reiseten sie von Petersburg ab nach Riga. Hier fanden sie schon die sechs Familien, aber in der äußersten Verlegenheit. Diese waren vor etlichen Tagen angekommen; das Geld war ihnen ausgegangen; sie hatten schon einige Kleidungsstücke verkaufen müssen, um Nahrung anschaffen zu können und den Schiffer zu bezahlen.

    Nun wurden sie gleich an das Haupt-Comptoir gewiesen, wo sie monatlich ausbezahlt bekamen, auf jeden Tag: für jeden Erwachsenen 25 Kopeken, für jeden Minderjährigen bis zu 14 Jahren 12 Kop. und freies Quartier. Jetzt war ihr Wunsch, unter den Schutz der russischen Regierung zu kommen, erfüllt; ihre Hoffnung hatte sie nicht lassen zu Schanden werden. Von hier reiseten die Deputierten mit dem Herrn Obrist Trappe nach Warschau, obzwar dies ein Umweg nach Danzig war. Sie reiseten also per Post nach Danzig und kamen daselbst an beim russischen Gesandschafts-Palais.

 

Grosse Aufregung bei der Rückkehr Höppner und Bartsch

    Das erregte ein großes Aufsehen, auch wie sie vom russischen General-Consul empfangen wurden. Viele hatten an ihre Zurückkunft gezweifelt, und nun mußten sie sehen und hören, daß von der Hohen russischen Krone nicht nur alle erbetene Gnade bewilliget, sondern auch eine imposante Rückfahrt bewirkt worden. Es war gerade Sonnabend, da viel Leute auf dem Markte waren; aus unserm Dorf auch viele. Und wie sie Höppner gesehen hatten, eilten viele geschwind nachhause, um die frohe Nachricht zu bringen, daß Höppner angekommen. Unser Wirt blieb mit seinem Fuhrwerk da, bis Höppner fertig war, und brachte ihn denselben Tag noch gesund und glücklich nachhause. Dieses Alles gab weit und breit ein großes Aufsehen und wurde allbekannt, daß die Deputierten glücklich zurück seien.

 

Mennoniten aus nahegelegenen Orten in Preussen dürfen nicht nach Russland, nur solche die in polnischen Gebieten wohnen

    Viele Leute kamen zu erfahren, was denn abgemacht sei. Das wurde ihnen vorgelegt und bekannt gemacht. Nun kamen aber auch viele von preußischer Seite und meldeten sich zum Nach-Rußlandziehen. Die russische Botschaft in Danzig (das zu Polen gehörte) wachte hierüber aber sehr streng, daß sie jeden, von dem sie wußten oder auch nur vermuteten, daß er ein Preuße sei, abwiesen (denn Russland wollte dadurch kein Problem mit Preussen bekommen). Diese machten es denn so, wie auch die sechs Familien es gemacht hatten; sie verkauften in Preußen ihre Sachen, die zum Mitnehmen unbequem waren, zogen auf Danziger Gebiet (in Polen) in Stall und Scheunen, und bekamen vom Ortsschulzen ein Attest, daß sie in Lakendorf(in Polen) wohnen, und als solche wurden sie angenommen.

 

Wie die Familien von Höppner und Bartsch in ihrer Abwesenheit überlebt haben

   Hier ist es notwendig einzuschalten, wie die Familien der beiden Deputierten in der langen Abwesenheit ihrer Hausväter in einem Jahr und elf Tagen überlebten. Bei dem Deputierten Bartsch ging dies leichter. Er wohnte nahe bei der Stadt, hatte sein eigenes Grundstück mit Land, worauf er einige Kühe hielt. Die Milch wurde täglich abgeholt und in der Stadt verkauft. Das war eine Wirtschaft, der die Frau in Abwesenheit ihres Mannes wohl vorstehen konnte, und wobei sie ihre Nahrung sehr gut hatte. Mit der Wirtschaft des Deputierten Höppner war es schon umständlicher. Er wohnte zwei Meilen von der Stadt in einer Hakenbude. Das ist ein Laden, wo man die notwendigsten Stücke für Landleute zu verkaufen hat. Die hatte er von einem Wirt gepachtet, der zwei Grundstücke hatte. Bei einem derselben war die Hakenbudenfreiheit, bei welcher der Wirt dem Höppner Garten und Hofacker ließ; auf diesem konnte er zwei Kühe weiden. Der Pächter hatte dazu auch die Fischerei vom Dorf gepachtet, so daß er sein Brot sehr wohl hatte.

    Wenn ich oben sagte, daß der Herr mit im Werk sei, so will ich hier auch ein Beispiel als Beweis dafür liefern. Höppner seine Frau wußte wohl, daß es sehr sparsam überlegt werden müsse. Was soll ich aber sagen? Es war Gottes Segen dabei. Als Höppner seiner Frau und Kinder ansichtig wurde, fand er sie nicht allein gesund, sondern auch die Wirtschaft im bessern Zustande, als er sie verlassen hatte. Denn er fand Quittungen über 300 Gulden, die er schuldig gewesen und die in dieser Zeit erworben und bezahlt waren.

 

Der Schreiber vergleicht die damaligen Mennoniten mit seinen Zeitgenossen in Russland und ist enttäuscht.

    Wenn ich die Unterhaltung betrachte, der ich beiwohnte, und den damaligen Wandel der Mennoniten und vergleiche unsern jetzigen Wandel und Aufführung in Südrussland mit jenem damals, dann kommt mir ein Schrecken an. Doch glaube ich, daß noch wieder ein Moses sich finden wird, der sein Leben für sein Volk stellt, und ein Abraham, der Gott anfleht, daß er schonen möchte, wenn noch zehn Gerechte sich finden. Darum, lieber Leser, wer du auch seist, merke.- wer die leiblichen Wohltaten nicht schätzt, der schätzt auch nicht die geistlichen, und wer Gott und seine Gebote nicht ehret, der ehret auch nicht der Kaiser und Könige Gebote. Doch will ich auch nicht predigen.

 

Die Einladung des russischen Gesandten an die Mennoniten Danzigs

    Nachdem das Gerücht von der Rückkehr der Deputierten und von dem Ergebniß der Reise derselben, sich mehr und mehr verbreitet und einen großen Eindruck auf Alle gemacht hatte, kamen Leute von weit und breit, um etwas Gewisses über das Gehörte zu erfahren. Darunter waren, wie bei solchen Dingen immer, auch bloß Neugierige und Spötter. Die Folge erwies aber, daß auch Neugierige, die nimmer daran gedacht hatten, nach Rußland zu ziehen, dahin ziehen mußten, denn Gott war im Werk!

    Da nun der russische Director von seiner Regierung den Befehl zur Beförderung der Auswanderer erhalten, so ließ er eine Einladung drucken, die am Neujahrstage bei der Kirche zu Neugarten und Stadtgebiet, wie auch in andern Orten ausgeteilt wurde, welche das Erscheinen der Auswanderungslustigen am 19ten Januar 1788 im russischen Gesandschafts-Palais bezweckte.

     ..... weil nun auch Ihre Kaiserliche Majestät allen Mennoniten, die von dem Danziger Gebiet Lust und Belieben finden möchten, nach Rußland zu ziehen, außer 65 Dessiatinen (ist eine alte Maßeinheit In Russland, ein wenig mehr als 1 Hektar), der schönsten Landereien für jede Familie, dergleichen noch keinen Ausländern verliehen worden; also werden alle Mennoniten vom Danziger Gebiet, denen es noch gefällig sein möchte, von dieser Kaiserlichen Huld und Gnade für sich und ihre Familien und Nachkommen Gebrauch zu machen, hierdurch eingeladen, sich am bevorstehenden 19. Januar des von Gott zu erwartenden 1788sten Jahres vormittags um 9 Uhr allhier in Danzig im Russisch-Kaiserlichen Gesandschafts-Palais persönlich einzufinden, damit ihnen die Privilegia vorgelegt werden, und sie sich nach ihrem Gutdünken, - so wie es freien Leuten, deren Vorfahren aus Holland hierher gekommen sind, erklären können. Danzig, den 29. December 1787." ....

     Hier im Gesandschafts-Palais in einem Saale versammelte sich eine große Anzahl Menschen. Zur bestimmten Zeit kam der Adjutant des russischen General-Consuls und frug in gebrochenem Deutsch: „Es sind doch keine andere hier als Mennoniten?" als dies mit „nein" beantwortet wurde, führte er uns in den Audienz-Saal, wo das Portrait der Kaiserin Catarina in natürlicher Größe war, welches in mir eine große Ehrfurcht erweckte, als wenn sie leiblich zugegen gewesen wäre.

     Nun kam der General-Consul in seiner vollen Uniform, wie auch der verordnete Director und Curator und begrüßten die Versammlung auf die liebreichste Weise. Sie ermahnten uns, die großen Gnadenbezeugungen, die uns von der großen Monarchin Catarina durch die Deputierten zu teil geworden, recht zu würdigen und zu bedenken, daß bei unserer Ansiedelung uns, unsern Kindern und Kindeskindern ein Gnaden-Privilegium zu verleihen bewilliget worden, was noch keinen Ausländern gegeben worden. Sie ermahneten die Versammlung ferner, Sorge zu tragen, daß die Gottesfurcht in ihrer Gesellschaft befördert werde, Gottes Wege nicht zu verlassen, so werde Gott auch ferner mit uns sein, wie er bisher in unsern Unternehmungen recht wundervoll mit uns gewesen.

    Die Reden und Ermahnungen, die die Herren hielten, kann ich nicht alle wiedergeben. Aber die Wirkung war, daß viele unter uns Tränen der Wehmut weinten. Es war der Versammlung auch abzufühlen, daß in der Gegenwart alle ein Herz und eine Seele waren, obzwar darunter auch heimliche Juden gewesen sein mögen, die sich später offenbarten, davon will ich aber schweigen.

    Täglich fanden sich Leute ein, die in der Versammlung nicht gewesen waren, und ein Verlangen trugen, etwas Gewisses zu erfahren, ob sie ihren Wunsch, nach Rußland zu ziehen, der unter all diesen Vorgängen in ihnen wach geworden, würden verwirklichen können. Die Umstände, worin sich die ärmere Klasse damals befand, und die aufregenden Gerüchte von der freundlichen Beförderung der Auswanderung russischerseits, bewogen viele zu dem Verlangen, ihren bedrängten Wohnsitz zu wechseln und zu verbessern. Denn bedeutendes, d. h. namhaftes Vermögen hatten nun ihrer wenige, und für seine Nachkommen hatte keiner einige Aussicht. Diesem zufolge machten sich viele reisefertig. Der eine Deputierte Jacob Höppner mit noch sieben Familien, zusammen 50 Seelen, darunter auch ich, machten uns nun reisefertig. Als wir die Pässe erhalten hatten von der Danziger Regierung, wie auch vom russischen General-Consul, so brachen wir den 22. März 1788 auf.

Teil III

Die Auswanderung

    Es war am Ostersonntag 1788 um 9 Uhr morgens, als wir aus dem Kirchdorf Bohnsack abreiseten. Und da unsere Abreise schon früher bekannt war, so hatten einige, die auch sonst sonntags vor dem Kirchengehen uns zu besuchen pflegten, sich versammelt, und begleiteten uns mit Glückwünschen und unter Tränen bis gegen die Kirche. Abends kamen wir bis Stutthof am frischen Haff, wo wir nächtigten. Hier nahmen wir Schlittenfuhrwerk an, über das Haff zu fahren, luden alles von den Wagen darauf und fuhren eilfertig über das schwache Eis, denn es war starkes Tauwetter. Die zweite Nacht mußten wir unter freiem Himmel sein, denn wegen des fallenden Regens konnten wir kein Dorf erreichen.

Bis Riga, Lettland und Dubrowna, Ukraine

    Wir brauchten bei unterschiedlichem Wetter bis Riga fünf Wochen und kamen am Ostermontag an. In Riga waren wir beinahe vier Wochen; die Pferde waren sehr ausgefahren, und mußten sich erst erholen. Hier wurde ich bald sehr krank, glaubte nicht weiter zu kommen, sehnte mich herzlich nach meinem Vaterlande und nach meinen Freunden, oder ich wollte auch hier sterben, wenn es Gottes Wille wäre; denn das Reisen bei so schlechtem Wege war mir sehr überdrüssig. Aber Gott schenkte mir wieder Besserung; doch blieb ich sehr schwach. Als wir von da abreiseten nach Dubrowna mußten mich ihrer zwei, unter die Arme gefaßt, auf den Wagen bringen.

    Die ganze Reise konnte ich mich nicht so weit erholen, allein gehen zu können. Den 24. Juni 1788 kamen wir in Dubrowna an (sechs Wochen unterwegs), wo wir gutes Quartier bekamen. Hier mußten wir auf weitere Ordre warten.

    Ich erinnere mich noch recht lebhaft des mir zu der Zeit lieb gewordenen Gesellschafters, eines Mannes von biederem deutschen Sinne, mit Namen Gerhard Neufeldt, der mir allezeit Mut einsprach, mit dem wir uns oft vertraulich unterhielten und einander trösteten, was ich in dankbarem Andenken bewahre. Rußland stand damals mit der Türkei im Kriege, deßhalb fand die Regierung es nicht für gut, uns an den Ort unserer Ansiedlung zu befördern, und wir mußten bis zum Frühjahr warten.

Dubrowna in der Ukraine, eine Zwischenstation. Heiratslustige, aber kein Prediger

    In dieser Zeit kamen uns viele nach, so daß wir 228 Familien zusammen waren. Hier waren alle wieder ein Herz und eine Seele, weil hier „gut sein war". Unter dieser Menge Menschen waren auch junge Leute, die bei diesen guten und müßigen Tagen heiratslustig wurden. Da nun alle wieder in Eintracht lebten, so wurden wir uns einig, nach Preußen oder nach Danzig an die Kirchengemeinden zu schreiben, mit der Bitte, unsere Gesellschaft mit Kirchenlehrern zu versehen und auch bittlich zu ersuchen, daß jemand von dort zu diesem Zweck herüber kommen möchte. Es war schon früher der Vorschlag gemacht worden, alle Sonntage Andacht zu veranstalten. Jetzt wurde dieser Vorschlag erneuert und auch ausgeführet.

    Es wurden auf einigen Versammlungen wechselweise I. Kroekers Predigten vorgelesen. So sehr es von allen gewünscht wurde, so war doch keiner da, der das Vorlesen aus freien Stücken übernehmen wollte. So wurden nun die, die dazu ausersehen waren, durch Mehrheit der Stimmen ausgesetzt, namhaft gemacht und bittlich ersucht, die Mühe des Vorlesens zu übernehmen, was auch geschah. Es waren: Jacob Wiens, Gerhard Neufeldt, Jacob Schott und Bernhard Penner. Die Versammlungen, denen ich zum teil auch öfter beigewohnt, waren recht erbaulich.

    Nun kam bald ein Schreiben von dem Ehrsamen Kirchendienst in Preußen an uns in Dubrowna in dem Sinne, daß Lehrer anzustellen, noch wohl würde anstehen müssen, bis wir am Ziel wären. Von dort aber Jemand abzufertigen, erwecke bedeutende Kosten. Sie rieten daher und baten die hiesige Gesellschaft, des Sonntags, wo Gelegenheit dazu wäre, aus I. Kröker's Predigten, oder sonst aus einem guten Buche zur Erbauung vorzulesen. Die Anstalten, Lehrer bei uns anzustellen, müßten bis auf eine gelegnere Zeit verschoben werden. Diese Entscheidung war der Dubrowner Gemeinde aber nicht wohltuend. Da sich schon bis 12 Paar Verlobte befanden und die Sitten doch nicht ausarten sollten, so war hier guter Rat teuer.

    Die Gemeinde wurde teilweise an verschiedenen Stellen zusammen berufen und der erwähnte Brief vorgelesen. Hierauf trat sie im Ganzen zusammen, sowol die friesische, als flämische und wählten zwei Männer aus, I. Schött und B. Penner, ein Schreiben im Namen der hiesigen Gemeinde auszufertigen und hinzuschicken in dem Sinne, daß die dortige Gemeinde, wenn es möglich wäre, den Ehrsamen Ältesten Peter Epp vom Danziger Stadtgebiet hersenden möge, der sich schon früher erbötig gezeigt, und zu dem die hiesige Gemeinde das Zutrauen habe, daß er es tun werde. Die Reisekosten hierzu, wenn ich nicht irre, 100 Dukaten, wurden zusammen gelegt.

    Hierauf sind, wie wir erfahren, alle Ältesten aus allen Gemeinden und einige Lehrer zusammen gekommen und haben beraten, was hier zu tun sei. Worauf sie den Ehrsamen Ältesten Gerhard Wiebe gebeten haben, zu schreiben an die Gemeinde zu Dubrowna: den Deputierten Höppner und Peter Albrecht zu beauftragen, die hiesige Gemeinde zusammen zu berufen, um zu beraten, wie und auf welche Art die Lehrerwahl gehalten werden solle. Es wäre ihnen lieb zu vernehmen, schrieb er, daß man hier schon früher sich mit dem Worte Gottes erbauet und untereinander sich vorgelesen, wie auch später geraten worden, und hofften, daß man auch den jetzt gemachten schriftlichen Vorschlag annehmen, nämlich die Lehrerwahl nach der Apostel Lehre anwenden und im Namen Gottes anfangen und vollenden werde.

    Nun wurde die ganze Gemeinde zu diesem Werk aufgefordert. Daß sich hier eine schöne Anzahl Menschen einfand, läßt sich leicht denken. Ich will hier anführen, soviel mein Gedächtniß behalten hat, auf wen und wie viel Stimmen fielen: auf Jacob Wiens 40, Gerhard Neufeldt 28, Bernhard Penner ?, Jacob Schott 12, David Giesbrecht 6, Johann Wiebe 2. Letzterer war noch unverheiratet; hernach ist er zum Lehrer und später zum Ältesten, gewählt worden. Noch ein Cornelius Friesen hat Stimmen gehabt, auch andere, die meinem Gedächtnisse entfallen sind, so daß ich weder ihre Namen, noch ihre Stimmenzahl angeben kann. Ich glaube, daß es ihrer 12 gewesen sind. Diese Namen, wie auch die Stimmenzahl wurden nach Preußen geschickt und dem dortigen Lehrdienst die Bestätigung überlassen. Die traf nun Wiens und Neufeldt und zwei andere, die herausgeloset waren, nämlich B. Penner und David Giesbrecht. Zu Diakonen Cornelius Friesen und einen Andern, dessen Namen ich vergessen. Also sind die benannten vier Lehrer von der preußischen Gemeinde befestiget, auch mit gehöriger Bestätigungsschrift versehen worden.

Konflikt zwischen friesischen und flämischen Mennoniten

    Es war aber noch kein Ältester. Einige von den friesischen Brüdern waren mißvergnügt und äußerten diese Unzufriedenheit dadurch, daß sie wünschten, wenn denn nur eine Gemeinde sein sollte, daß doch auch einer von den Friesischen in den Lehrstand gekommen sein möchte. Selbst einige von den flämischen Brüdern wünschten es schon damals, als der Ehrsame Jacob Schött mit dem Ehrsamen B. Penner das Schreiben nach Preußen verfertigten. Doch war zu der Zeit im ganzen eine große Einhelligkeit und Zufriedenheit unter den Brüdern. Die beiden Deputierten waren von beiden Gemeinden; letztere wünschten auch nur eine Gemeinde zu bilden, und wendeten auch wahrlich viel Fleiß an, das Ganze in Eins zu verschmelzen. Der Deputierte Bartsch aber und noch einige von den friesischen Brüdern blieben bei der flämischen Gemeinde stehen; andere suchten ihre friesische Gemeinde aufzurichten.

Wie gut, dass aus beiden Richtungen nicht eine einzige Gemeinde wurde!

    Die Wege des Herrn sind auch hier anbetungswürdig. Denn es war, wie nachher sich zum Lobe Gottes erwies, des Herrn Wille gewesen, sonst hätte doch leicht bei der Auslosung es einen von den Friesischen treffen können. Und dann wäre wahrscheinlich eine besondere friesische Gemeinde nicht aufgetreten.Lasset uns niederbeugen in den Staub vor dem Herrn, lasset uns unsere Wege ihm befehlen, er wird es wohl machen. Mit Bewunderung betrachte ich alle diese Dinge und muß demutsvoll ausrufen: Herr, Du bist groß! Dein Wille geschehe! Später wird aus der Beschreibung zu sehen sein, wie gut es war, daß unter unsern Mennoniten sich zwei Gemeinden gebildet hatten. Denn wo hätte der Deputierte Höppner nach seiner Ausbannung aus der flämischen Gemeinde und nach erfolgter Begnadigung wieder Aufnahme finden können, wenn nicht nebenbei eine zweite Gemeinde bestanden hätte, die friesische, die an all dem bösen Rat gegen Höppner keinen Anteil genommen hatte? Nachher wurde der Ehrsame Schött zum Lehrer bei der friesischen Gemeinde bestimmt. Alle Uneinigkeit und Zwistigkeit übergehe ich mit Stillschweigen. Gott vergebe Jedem seine Fehler!

    Da die Dubrowner Gemeinde dringend anhielt, daß der Ehrsame Älteste Peter Epp zu ihnen herüber kommen möchte, so entschloß er sich endlich, ihrem Verlangen zu willfahren. Obzwar die Danziger Gemeinde dies nicht gerne sah, ihren Ehrsamen Ältesten solchen Strapatzen unterworfen zu sehen, so mußte sie doch nachgeben, wenn sie den Ernst und Eifer für eine gute Sache der Dubrowner Gemeinde in Betracht nahm, und wie diese bei ihren knappen Mitteln eine so bedeutende Summe Geldes zur Reise zusammen brachte. Sie wurde zuletzt Beförderer der guten Sache.

    Unsere Wege sind aber nicht Gottes Wege, und Gott hatte es anders beschlossen. Er nahm den Ehrsamen Ältesten durch den zeitlichen Tod zu sich, ehe er die Reise antreten konnte, und wurde bei seiner Gemeinde begraben. Wenn wir hier das „Warum" auch nicht begreifen können, so war es doch Gottes heiliger Wille, und seine Wege sind anbetungswürdig.

Sechs Männer reisen voraus

    Es war schon früher bei Danzig beschlossen worden, daß sechs Familienväter vorausreisen sollten, um das Holz, das die russische Regierung für die Ansiedler gab, in Empfang zu nehmen.Demnach machten sich diese sechs Familien, darunter auch Höppner, sobald die große Kälte des Winters es zuließ, ungefehr drei Wochen vor Ostern, von Dubrowna auf den Weg nach Krementschug, und da ich immer gern vorn und hinten sein mochte, so zog ich auch mit.

    Wir hatten gleich anfangs sehr starkes Tauwetter, die Wagen wurden auf Schlitten gesetzt. Ungefehr eine halbe Meile vor Orscha hatten wir einen schrägen Weg hinunter zu fahren, an beiden Seiten waren tiefe Gründe. Die Schlitten fingen an seitlings zu gehen, bis endlich ein schwer beladener Wagen umstürzte. Die Pferde kamen los, der Wagen überkollerte sich mehrere Male und blieb dann liegen. Es war ein Glück, daß kein Mensch darin war, und der Besitzer des Wagens selbst die Pferde lenkte; er durfte keinen beschuldigen. Er bestieg einen andern Wagen und fuhr mit seiner Frau und Kindern mit der andern Gesellschaft nach der Stadt Orscha. Ich mit einigen Begleitern blieben auf der Unglücksstätte, nahmen alles auseinander und brachten es endlich den tiefen Grund hinunter aufs Freie. Der Schaden erwies sich übrigens nicht gar groß. Die überspannten Biegel der Decke hatten freilich solcher Wucht nicht wiederstehen können und waren zerbrochen. In der Nähe befand sich ein Wirtshaus, wo gutes Bier war; dies sparte der Besitzer des Wagens nicht, auch war der Kaffee schon fertig, als wir ankamen. Des andern Tages reiseten wir weiter, unsere Begleiter aber wieder zurück nach Dubrowna, woselbst sie bleiben mußten bis zum Frühjahr, bis trockener Weg wurde.

    Von unserer Gesellschaft gehörten 2, 3, 4 Familien zu einem Wagen, weil nur wenige die Mittel hatten, Pferde und Wagen sich anschaffen zu können. Ihr weniges Vermögen hatten sie in Kasten gepackt und in Danzig unter den Schutz des General-Consuls gestellt, welcher es zu Schiffe nach Riga schickte. Von da wurden die Kasten auf russischen Podwoden nach Dubrowna gebracht, und von da in Barken nach Krementschug und dann nach Jekaterinoslaw hinuntergeschifft. Viele von den in Dubrowna befindlichen Familien, die kein eigenes Fuhrwerk hatten, fuhren auf den Barken bis Jekaterinoslaw mit. Mir deucht so, als wenn sie von Dubrowna bis Krementschug neun Wochen zugebracht haben. Diejenigen, die zur Reise hatten Pferde und Wagen aufbringen können, nahmen also 2, 3 oder auch 4 Familien in ihre Wagen auf und bezogen natürlich die Frachtgelder, die in Riga von Danzig an und weiter bis Dubrowna bezahlt wurden.

Das mitgenommene Hab und Gut geht verloren

    Es hätte sich nicht tun lassen, so viele Passagiere auf einen Wagen zu nehmen, wenn, die Bagage nicht wäre besonders transportirt worden. Von den Kasten, die mit dem Schiff kamen, sind aber nur wenige unbeschädigt angekommen. Vieles war daraus gestohlen, indem die Böden ausgebrochen, für das Entwendete anderes unnützes Zeug hinein gesteckt, damit die Kästen ihr Gewicht behielten, und dann wieder vernagelt worden. Was nicht entwendet, war zum teil verfault. Als die Leute an den Ort ihrer Ansiedelung kamen, wurden Pferde gestohlen, und die nichtgestohlenen liefen so davon, weil sie nicht wo unterzubringen waren: so daß die Leute viel Schaden hatten und in gänzliche Armut verfielen. Nur die ihr weniges Hab und Gut mit sich führten, hatten Nutzen davon.

    Wir kehren wieder zu unserer Reise zurück. Von Orscha reiseten wir unter Regen und starkem Tauwetter ab, kamen durch viele Städte und Dörfer und endlich bis Mohilew, einem artigen Städtchen (Gouvernementsstadt), wo wir uns wieder erholen konnten, und wo ein natürlicher Bissen Brot zu bekommen war. Wäre trockener Weg gewesen, so wäre uns die Straße nicht so schlecht und überdrüssig vorgekommen, wie sie uns jetzt war. Wir reiseten, wie zuvor, unter Regen und Tauwetter fort und kamen auf so ebene Felder, daß es schien, als wenn wir auf dem Meere führen; Eis und Wasser soviel, daß wir kaum den Weg sehen konnten. Die Schlitten schlugen zuweilen durch, daß wir sie ausheben mußten, es schien mehr ein See als Land zu sein. Wir kamen also mit vieler Mühe bei Welikowerst. Vor hier wollten wir nicht weiter fahren, bis wir uns erst wieder erholt hatten. Die Pferde hatten uns das Weiterfahren gänzlich aufgesagt. Hier waren wir drei Wochen, bis wir uns und unsere Pferde zurecht gefüttert hatten. Unterdeß verschwand Schnee und Eis, der Weg wurde trocken, und wir fuhren bei schönem Wetter im Monat Mai von hier ab.

Flussüberquerung und Weiterfahrt

    Unter den schon übergesetzten Truppen fand der Deputierte Höppner bekannte Offiziere, die er vor einem Jahre beim Fürsten hatte kennen gelernt, und die gut deutsch sprachen; die beförderten unsere Überfahrt.

    Wir kamen bei schönem Wetter glücklich hinüber, wo schon wieder ein Regiment wartete und eintrat. Das war Militair, das wahrscheinlich vom Kriegsschauplätze zurückkehrte. Nun hatten wir fortwährend schönes Wetter, die Felder waren grün, wir fanden ebenes Land, große Dörfer und Obstgärten, die in voller Blüte standen.

    Hier brachten wir vier Wochen zu, bis uns die ganze Gesellschaft aus Dubrowna zu Wasser und zu Lande nachkam. Gleich bei unserer Ankunft wurde der Deputierte Höppner zum Reichsfürsten Potemkin beordert. Dieser schlug ihm den Chortitzer Plan vor und riet, den Nischnikrimischen (wahrscheinlich an der Molotschna) nicht zu beziehen, weil es dort zu der Zeit noch zu unsicher war, und befahl ihm, gleich hinzureisen und obigen Plan zu besehen. Einwürfe durften hier nicht gemacht werden; es wurde befohlen, gleich nach der Besichtigung Bericht abzustatten. Ehe Höppner zu den Seinigen zurückkam, war schon ein Director über die Ansiedler ernannt, ein verarmter Major.

    Wir reisten nun weiter bis Jekaterinoslaw. Hier war bei all diesem Wirrwar wohl ein Director nötig. Die Ansiedler waren allesamt arm und der arme Major paßte gut bei. Zwar gedachte er hier reich zu werden, das ging aber nimmer an; wenn er uns auch viel Drohungen vormachte, es war doch keine Hoffnung da, sein Verlangen zu stillen.

Eigentlich war es keine unbewohnte Gegend

    Kurz vor unserer Ankunft hatten die Leute, die hier wohnten, räumen müssen; es war ein ausgebautes Dorf gewesen. Die Häuser waren größtenteils abgebrochen und das Holz weggefahren. Einige Katen standen noch zwischen den Lehmhaufen der abgebrochenen Wohnungen. Es sah einem völligen Ruin ähnlich. Weit und breit um das Dorf her war kein Grashalmchen; alles abgetreten. Ich dachte an die Zerstörung Jerusalem's und Palästina's. So fruchtbar es gewesen, so unfruchtbar jetzt.

    So lange die Kinder Israel Gott suchten und ihm dienten, ruhete auch der Segen Gottes auf den Feldern, sobald sie aber Gott verließen und den Herrn der Herrlichkeit kreuzigten, mußten sie, und müssen es noch, als Verstoßene sich in aller Welt herumtreiben. Gott kann aber diese Felder auch wohl wieder segnen, wenn wir nur suchen seinen Willen zu vollbringen. Dies flößte mir wieder guten Mut ein.

    Der andere Deputierte Bartsch war mittlerweile auch nachgekommen. Ich besah diese Gegend so weit und soviel ich konnte allein, und fand bald die Versicherung in meinem Gemüte, daß ich mein Brot wohl würde haben können. Ich hatte ja von Anfang gehofft und geglaubt, daß die Hand des Herrn mit im Spiele sei, und in diesem Gedanken befestigte sich meine Hoffnung wieder aufs neue. Oft suchte ich meinen werten Freund, dessen ich früher erwähnte, auf und wir trösteten uns gegenseitig mit der Hoffnung auf Besserwerden und sprachen uns immer neuen Mut ein.

    Jetzt erhielt jeder seinen Kasten von den Barken. Was war darin? Verfaulte Sachen oder Holz und Steine, die anstatt der verschwundenen Sachen hineingesteckt waren;  nur ihrer Wenige fanden noch Nutzbares darin. Denn unten in den feuchten Räumen der Barken konnten die Kasten und deren Inhalt eine so lange Zeit, wie die Fahrt dauerte, nicht trocken und unverdorben bleiben. Ein Wunder war es noch, daß doch noch manche ihre Kasten unverletzt erhielten.

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Teil IV

Die Ansiedlung und Zerwürfnisse in den Gemeinden

    Nun waren wir auf dem Chortitzer Plan angekommen. Es fiel Regenwetter ein. In und an den Wagen war unbequem wohnen. Da fanden sich bald viele Kranke auch Sterbende.

Die Pferde wurden gestohlen, oder verliefen sich auch wegen Mangel an Aufsicht. Da fand sich Unzufriedenheit und Murren. Das Holz zum Bauen wurde geliefert, aber zum teil sehr schlechtes, wobei jedoch zwei Stück für eins gegeben wurde. Das war noch nicht das größte Übel. Es wurden, sechs Männer gewählt, das Holz in Empfang zu nehmen. Daß die Pferde sich mehr und mehr verloren hatten und nun fehlten, war Ursache, daß das Holz nicht sobald wie nötig aufs Land gebracht werden konnte. Es wurde viel gestohlen und allezeit das beßte stromabwärts getrieben. Es schien, als wenn kein Holz und keine Pferde mehr bleiben würden.

    Hier ein Beispiel. Einige Wirte ließen sich eine gewisse Anzahl Holz zuzählen, und wollten es nächsten Tages aufs Land bringen. Als sie hinkamen, war nichts da. Weil nur ein Mann Wache hielt und die ukrainische Diebe in der Mehrzahl kamen, geboten diese dem Wächter Schweigen, wenn ihm sein Leben lieb sei, nahmen das Holz und schwammen damit den Strom hinunter. Hierdurch klug gemacht, wurde das Holz so viel und schnell als möglich aufs Land gebracht und familienweise eingeteilt. Denn es gab in der Gegend noch keinen Wald und darum war Holz so begehrt.

    Das Obdach war, wie sich denken läßt, anfangs knapp und schlecht, und deßhalb wurden viele für den nächsten Winter in der Stadt Alexandrowsk und in Wolowskaja Sloboda einquartirt. Mehl Grütze und Salz bekamen sie aus dem Kronsmagazin alle Monat, zuweilen schlechtes, aber auch gutes.

 

Der schwere Anfang in Chortitza

    Anfangs Juli des nächsten Jahres 1789 kamen wir nach Chortitza. Die nicht ganz in Mißvergnügen verfallen waren, suchten sich Plätze zum Bauen, als Neuendorf, und machten sich kleine Wohnungen. Es wurden viel Dielen und Bohlen gegen anderes Holz gegeben. Einige Familien zogen auf den Winkel, wo das Flüßchen Chortitza in den Dnjepr fällt, und den wir jetzt Schweinskopf nennen. Sechs oder acht Familien machten sich Erdhütten, zwei Familien zusammen machten sich Heu; denn es waren einige, die sich eine Kuh kaufen konnten, waren vergnügt und hofften ein Besseres. Andere saßen bei Einlage. Da diese Leute aus verschiedenen Dörfern zusammen gezogen waren, und zwar nicht die Besten, so war es kein Wunder, daß es gährte. Es waren der Unzufriedenen bei weitem die meisten.

   Zum versprochenen Vorschußauszahlen seitens der russischen Regierung war noch keine Obrigkeit beauftragt; so gern die Vorgesetzten helfen möchten, sie konnten es nicht. Der Reichsfürst war mit Geschäften überhäuft. Also wurden wir abgewiesen, welches mitunter Jahre dauert. Da legten die Ansiedler sich aufs Bitten. Der Major, der unsere Umstände wußte, tat allen Fleiß, Geld zum Bauen uns in die Hände zu liefern; doch kam es sehr sparsam, so daß es nicht der Mühe wert ist anzuführen, wie viel ein Jeder bekam. Von einem Male weiß ich, daß jeder Wirt doch 25 Rubel bekam, vielmal zu 3, 4, 7 Rubel. Auf solche Art erhielten wir endlich die Vorschußgelder, womit derartig wenig auszurichten war.

 

Der Älteste hat keine Stiefel um die Feier zu leiten

    Der Ehrsame Kirchenvorstand mußte den Unzufriedenen auch oft herhalten, obzwar derselbe auch selbst, so wie jeder andere, die Umstände gern besser gesehen hätte. Als der Ehrsame Älteste Bernhard Penner die erste Aufnahme der Jugend halten sollte, hatte er weder Schuhe noch Stiefeln anzuziehen. Der Älteste kam aus einer Versammlung bei Jemand zu Mittag. „Liebe Brüder", sprach er, „ist es nicht möglich, daß ich noch vor der Aufnahme der Jugend etwas an die Füße haben könnte?" - Da antwortete einer aus der Gesellschaft: „Die Schäfte gebe ich", ein anderer: „Sohlen und Rezette gebe ich", und ein Dritter: „Ich mache die Stiefeln." Dies war der Deputierte Bartsch. Meine Ohren haben dies gehöret und meine Augen gesehen.

     Hier, mein lieber Leser, vergleiche den jetzigen Aufwand der Kirchengänger im Hause Gottes mit der damaligen Armut. Es wird sich der Gedanke gewiß dir aufdringen, daß das Land doch so schlecht nicht sein müsse, wie die Unzufriedenen es ausschrien. Was dünkt dich, hatten die damaligen Schreier ein Recht, ihre Führer zu beschimpfen? Und wenn sie es den Augenblick zu haben glaubten, hat die Zukunft sie gerechtfertigt? - Nein, nicht gerechtfertigt, sondern verurteilt; verurteilt, daß sie, die Schreier, an ihrem Unglücke selbst schuld waren, so daß sie vor Unzufriedenheit und Mißmut nicht wußten, was zu ihrem Frieden diente. Jenen drei Männern, die die Stiefeln zu Stande brachten, und die zu den Beßten zählten, wird es Gott lohnen. Der Würdige Älteste war an seiner Armut nicht schuld. Gott hatte ihn in seiner Familie viel mit Krankheit belegt. Bald nach der Aufnahme erlösete ihn Gott aus seiner Armut, indem er ihn zu sich nahm. Seine Frau starb kurz vor Weihnachten 1826.

     Dies ist nun in Kürze beschrieben, wie sich der Anfang der Auswanderung entwickelte, etwas Weniges von der Reise und auch der Anfang der Ansiedelung hier in Rußland. Es sind nur die auffallendsten Begebenheiten berührt, von einer gründlichen Beschreibung kann hier die Rede nicht sein.

 

In den Anfängen geschah auch manches, das die Mennoniten beschämt

    Jetzt muß ich aber im Laufe der Geschichte noch Vorkommnisse berühren, die das menschliche Gefühl mit Schauder erfüllen, und die mir den Mennonitennamen, der von meiner Jugend an mir so lieb gewesen war, zu Zeiten recht ekelhaft machten. Oft unter dem Schein der Gerechtigkeit sucht uns der Feind des menschlichen Geschlechts die Schlinge umzulegen, uns mit in den Strudel zu ziehen. Darum wachet und betet. - Wenn der liebe Gott mir nicht den Kern des Christentums in mein Herz gelegt hätte, aus dessen Grundlage ich den Willen Gottes erkenne, daß wir nach Rußland ziehen mußten, so wäre vielleicht auch ich mißmütig geworden, und deßhalb vergebe ich den Verirrten ihre Fehler und bitte Gott, daß er ihnen ihre Sünden nicht behalten möge. In dieser Überzeugung beuge ich mich in den Staub zu unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi Füßen nieder und flehe den dreieinigen Gott in Demut an, daß Er auch ferner über mich, über meine Familie und über die Kolonien, in deren Mitte wir wohnen, ja über das ganze menschliche Geschlecht in Gnaden walten wolle. Gott segne auch unser Kaiserliches Haus, unter dessen Schutz wir fortwährend so viel Gutes genießen.

    Meine feste Überzeugung ist, daß allen denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Beßten dienen. Ich danke auch Gott, daß nunmehr alle Ansiedlungsstürme sich gelegt und ein allgemeiner Friede unter uns seinen Sitz genommen. Die Gemeinde hat auch im Leiblichen angefangen zu blühen. Der Herr wolle Alles in Gnaden zum Guten wenden, und mehr Männer ausrüsten, die mit Abraham und Mose ihr Leben für die Gemeinde darlegen und für deren Gedeihen zum Herrn flehen. Uns alle aber wolle Gott mit rechter Hebe beseligen. Darum lasset uns Gott inständigst anflehen.

 

Eigentlich hatte man einen besseren Ansiedlungsort gewünscht

    Als sich nun Alle zu Chortitza gesammelt hatten, auch die Deputierten mit den Ihrigen angekommen waren, so kam der Groll gegen diese immer mehr zum Vorschein. Es ist mir noch eingedenk, daß bald nach unserer Ankunft einige Männer an unsere Wagen geritten kamen und fragten, ob dies schon die Stelle sei, wo angesiedelt werden sollte? Höppner antwortete: „Ja" und suchte ihnen deutlich zu machen, daß der frühere Ansiedelungsplan vom Reichsfürsten deßhalb gegen diesen umgewechselt sei, weil der erstere, der Nischekrimische Plan, zu nahe an die unruhigen Tatarenvölker grenze, auch der Krieg mit der Türkei noch nicht auf die Dauer beseitigt sei. Sie aber ließen ihn kaum zu Worte kommen; an überzeugen war nicht zu denken. Noch keiner hatte diesen Plan irgendwie gründlich besehen. Sie stürmten aber doch auf Höppner mit solchem Ungestüm ein, daß es nicht füglich mit Worten wiederzugeben ist. Dies waren Männer, die ich noch nie gesehen hatte. Ich dachte: Sind das auch Mennoniten? Ja, sie waren es dem Namen nach.

    Dieser aufrührische Sinn wälzte sich fort, wie ein Schneeball, und nahm ungeheure Dimensionen an. Doch waren auch vernünftige Leute darunter, die das Land bis an seine Grenzen besahen und kamen dann zufrieden zurück. Darunter war ein gewisser Anton Klassen, der mit seiner Aussage den Aufruhr etwas beschwichtigte. Er sagte, er wünsche kein besseres Land, es komme dem beßten in Deutschland gleich, wo "der Morgen mit 400 Gulden bezahlt werde. Auf solchem Lande werde man hier auch wohl sein Brot haben können, wenn Gott seinen Segen und fruchtbare Zeiten schenke. Er suchte mit solchen Reden die Unzufriedenen zu beschwichtigen.

 

Unschlüssig, streitsüchtig und zaghaft

    Nun wurden Anstalten zum Bauen gemacht, und Holz, Bohlen und Dielen nach dem Dorf gefahren, das jetzt Neuendorf heißt. Da wurden kleine Hütten gebaut, so gut jeder vermochte. Betrachtet, meine Leser, jetzt, dies Dorf, ihr werdet wenig, oder nichts finden, das dem ähnlich ist, was anfangs gebaut wurde. Während des Bauens wohnten die Leute in und an den Wagen, bis die Hütten fertig waren. Es wurde auch Heu gemacht, so gut ein jeder konnte. Die Aufgebrachten aber dachten an kein Bauen, sie glaubten und sprachen es auch aus, wenn sich keiner zum Ansiedeln bequeme, so würden sie wohl anderes Land bekommen.

    Es wurden viele, wie oben gesagt, zum Winter in der AlexanderFestung einquartirt und namentlich mit Mehl, Grütze und Salz hinreichend versehen. Und dies war vielen eben recht, denn sie dachten an nichts weniger, als hier anzusiedeln. Also strich der Herbst hin, auch der Winter, der ohne Schnee war. Als der Sommer kam, kam auch Befehl von der Obrigkeit, daß die Einquartirten auf den angewiesenen Plan kommen sollten, wenn es auch gegen ihren Willen war. Zu der Zeit war die Alexander-Festung noch von Landeskindern bewohnt. Es geschah hier auch die Aufnahme der Jugend von einem gewissen Klassen aus dem Schweingrubschen.

 

Aufrührer kommen ins Gefängnis

    Die Deputierten Höppner und Bartsch und noch einige Familien zogen bald nach ihrer Ankunft bei Chortitza auf die Insel Chortitza in ein Wohnhaus, das sich da befand; die andern machten sich Wohnungen in der Erde, so weit aus einander, daß jeder sein Land gegenüber hatte. Zu der Zeit war der Commandant der Festung ein Deutscher. Die Befehle wurden immer mehr verschärft, aber die Leute wollten nicht folgen. Als nun der Vice-Gouverneur kam und untersucht wurde, wer eigentlich die Aufrührer seien, die sich den Befehlen der Obrigkeit widersetzten, so wollte sich jeder rechtfertigen und keiner Schuld haben. Aber die Aufrührer gaben sich bald durch grobe Reden und Antworten selbst zu erkennen, und wurden auf eine gewisse Zeit festgesetzt.

   Nun wurde das Feuer gegen Höppner noch größer, und obgleich er für sie bat, so hieß es doch: „Der Seelenverkäufer!" Jetzt mußten aber die Befehle der Obrigkeit doch befolgt werden, sie mußten hinüberziehen und wurden in geschlossene Dörfer eingeteilt. Doch die Unzufriedenheit und den Willen zum Wegziehen konnten sie nicht aus ihrem Herzen bannen. Diese wilden Pflanzen sind noch viele Jahre in ihnen stecken geblieben.

 

Die russische Regierung zögert mit den versprochenen Zahlungen

    Nun mußte gebaut werden, doch der Geldmangel war groß. Deßhalb hielten gutmeinente Männer bei den Deputierten an, um Geld bei der Obrigkeit zu bitten. Sie taten, was sie konnten, allein sie erhielten das Geld so sparsam, wie früher, daß es fast nicht der Rede wert war. Da wurde das Zornfeuer über die Deputierten wieder größer. Bei Riga hatte jede Familie 100 Rubel Vorschußgeld erhalten, die Kostgelder kamen monatlich, doch nicht pünktlich; es wurde viel aufgeschoben, daß wir die übrigen 400 Rubel in acht Jahren in kleinen Summen erhielten.

    Bei dem Überziehen aus der Festung aufs Land sammelten sich einige 30 Familien, die ein eigenes Dorf bildeten nämlich Kronsweide. Darunter war der vorgedachte Klassen, der die Aufnahme der Jugend in der Festung vollzogen hatte. Sie nannten sich die friesische Gemeinde. Es waren auch einige von dieser Gemeinde, die sich schon früher an andere Dörfer angeschlossen und blieben also bei der flämischen stehen. Da auch in dieser kleinen friesischen Gemeinde aus vielen Gegenden Leute, und bei weitem nicht alle von den beßten zusammengezogen waren, so waren darunter ebenfalls solche, die den Christennamen schändeten. An Streit und Uneinigkeit fehlte es auch nicht, selbst die beiden Lehrer waren sich nicht einig. Sie bauten sich ein Wirtshaus, wo die Ruchlosen sich versammelten zum Saufen, wobei sie einen Mord begingen.

   Die Täter wurden festgesetzt und endlich nach gesetzmäßiger Bestrafung wieder frei gegeben. Es hatte mehr wie einer an der Tat schuld. Hier, mein lieber Leser, erschrick vor solchen Greueltaten, wodurch der Mennonitenname, den die Deputierten so ernstlich zu erhalten gesucht, geschändet wurde.

Teil V

Der Thronfolger bekam ein Büchlein mit Goldschnitt. Darin das Glaubensbekenntniss der Mennoniten

    Es ist noch nachzuholen, daß die Deputierten noch vor der Audienz beim Thronfolger, mit Vorbedacht das mennonitische Glaubensbekenntniß, mit Goldschnitt aufs beste gebunden, hatten anfertigen lassen. Als sie dann dem Großfürsten und seiner Gemahlin, Kaiserlichen Hoheiten vorgestellt wurden, hatten sie für nötig erachtet, das Büchlein zu präsentiren, welches auch mit Wohlwollen entgegengenommen wurde. Seine Kaiserliche Hoheit hatte früher bei seiner Durchreise durch Preußen die wirtschaftlichen Einrichtungen der Mennoniten in Augenschein genommen, und befragte die Deputierten um mehrere Umstände, worauf die Überreichung des erwähnten Glaubensbekenntnisses erfolgte. Auch viele der Größesten bei Hofe bezeugten ihr Wohlwollen für die Mennoniten gegen die Deputierten, wovon folgendes Zeugniß giebt.

 

 ,,Extract aus einem Briefe von Sr. Hohen Exellenz dem RussischKaiserlichen Cabinets - Minister, Geheimen Rat, Senator und Ritter Herrn Petr Iwanowitsch v. Pastuschow:

„Ich bitte, meine bekannten lieben Mennonisten von mir zu grüßen und sie dabei zu versichern, daß ich ihnen beständig wohl wünsche."

 

Der Versuch alle Mennoniten in einer einzigen Gemeinde zu vereinen scheitert

     So sehr die beiden Deputierten sich bemühten, daß nur Eine Gemeinde sein und alles in ruhigem Gang kommen solle, so half es aber nichts. Die Friesischen bildeten eine eigene Gemeinde gegen alles Abraten und wählten bald Lehrer aus ihrer Mitte. Es kamen von den Friesischen auch nach und nach hinzu, bis zuletzt Schönwiese angesiedelt wurde.

 

 

Der Unmut über die Deputierten erreicht seinen Höhepunkt

    Auch das Gerede von ,,besseres Land haben wollen" stillte nicht ab. Der Major strampelte viel herum, und suchte die Unzufriedenen zu besänftigen, daß sie ruhig fortwirtschaften sollten, aber vergebens. Es fanden sich etliche, die sich erboten, besseres Land zu suchen. Ob sie von der Obrigkeit Erlaubniß dazu hatten, weiß ich nicht, weiß auch nicht, wo sie das Geld zur Reise hernahmen. Sie reisten aber, und wurden für ihre Mühe auch belohnt. An diesem Landsuchen nahm fast die größte Hälfte aus beiden Gemeinden teil, wodurch die Wirtschaften stark litten. Es trug auch wohl dazu bei, daß die Vorschußgelder mühsamer einkamen.

    Der Neid über die Deputierten wurde aber immer größer. Wenn der Director mitunter den Unzufriedenen unter Augen stellte, daß sie Faullenzer und Durchbringer seien, daß sie gar nicht die Leute wären, wie sie der Hohen Krone angepriesen worden, und daß er gezwungen sei, ihr unfügliches Treiben und ihr Unwesen der höhern Behörde anzuzeigen, dann sagten sie: „Das haben ihm die beiden Spitzbuben gesagt."

    Bei aller der Widersetzlichkeit gegen die Deputierten war es für diese nicht gut tunlich, das Amt als Aufseher länger zu verwalten, zumal sie tagtäglich auf Steg und Weg solche Schimpfworte hören mußten. Sie mußten dem Unsinn und unvernünftigen Treiben, ihrerseits auch Widerstand leisten, und dadurch wurden die Unzufriedenen immer gereizter. Dieses bestimmte die Deputierten, wie auch andere redliche Männer ihnen rieten, all ihnen von der hohen Obrigkeit anvertrauten Schriften, die hauptsächlich die Einwanderung betrafen, an die Gemeinde-Vorsteher zu übergeben.

 

Lieblosigkeit nimmt überhand

    Nun werdet ihr, meine lieben Leser, glauben, wie auch ich zu der Zeit es glaubte, daß aller Hader und Neid doch einmal ein Ende haben werde. Aber der Apostel Petrus hat schon zu seiner Zeit gesagt: „Der Teufel gehet umher, wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge." Es ist wohl zu bedenken, daß, der da stehet, zusehe, daß er nicht falle. Die christliche Erbauung, die in der Gemeinde zu Dubrowna stattfand, war dem Teufel unleidlich, darum faßte er einen verzweifelten Grimm, eine fast unglaubliche Zwietracht anzufachen.

   Es läßt sich ja nicht alles beschreiben, aber doch so viel will ich anmerken, daß meine Leser begreifen können, daß hier nicht das Element der Liebe vorherrschte, daß überhaupt die Gottesfurcht in diesen verirrten Seelen nicht Wurzel gefaßt hatte, daß all ihre Ränke den Schein der Gerechtigkeit trugen, und viele hineingerieten, die über all das Treiben keine Rechenschaft geben konnten.

   Deßhalb ist es nötig, immer, aber insbesondere in so kritischen Fällen, nach der Lehre des Heilandes, Matth. 6, 13, zu beten: „Herr, führe uns nicht in Versuchung!" Wenn wir dies mit rechtem Ernst tun, so werden wir vor vielem Bösen bewahrt bleiben.

 

 Der Unmut über die Deputierten erreicht seinen Höhepunkt

    Nun machte sich der Director bald an die Deputierten. Die Unzufriedenen, welche die Mehrheit ausmachten, glaubten sich von diesen beleidigt. Alle unmenschliche Behandlung, die sie vom Baron erlitten, schrieben sie dem Einflüsse der Deputierten zu. Dies war ein gutersonnener Plan vom Satan, die Rache in den Herzen der verblendeten Menschen zu entzünden. Der Director war ein sehr gewissenloser Mensch, dem es um Geld, um Befriedigung unsittlicher Begierden zu tun, und dem gemäß, wo es ihm paßte, zur Rache geneigt war. So suchte er unter dem Vorwande, der Kolonie Beßtes zu suchen, den Deputierten zu erkennen zu geben, daß, wenn man sich Geld gemacht, auch etwas davon abgeben könne. Hiermit spielte er darauf an, daß sie sich bei dem Austeilen der eingekommenen Vorschußgelder ja auch hübsch die Taschen gefüllt hätten. Daß dieses eine ungerechte Beschuldigung war, glaube ich ohne allen Zweifel. Denn es wurde vor der Obrigkeit mit der größten Vorsicht an jeden einzeln ausgezahlt, und die Quittungen mußten allzeit mit den Auszahlungen stimmen.

    Daß die Deputierten aber manchmal genötigt waren, mit den Leuten hart umzugehen, wird kein vernünftiger Mensch leugnen, aber auch nicht verkennen, daß es was auf sich hatte, mit so aufgebrachten Menschen stets in Liebe und Gelassenheit umzugehen. Die Deputierten haben auch wirkliche Fehler begangen, die zwar später beigelegt, aber in den Herzen der Gegner nicht vergessen wurden, wobei der Lehrdienst auch manches Notwendige unterlassen hat. Er unterließ nämlich, der Gemeinde ans Herz zulegen, daß beigelegte Fehler nicht immer wieder und wieder gerügt werden dürfen.

   Der Ehrs. Lehrdienst tat nicht seine Pflicht, das Feuer zu dämpfen, indem er selbst die erste Liebe verlassen hatte. Die Deputierten wurden von der Gemeinde gesondert. Was zur Zeit der Absonderung mich in Zweifel brachte, ob sie auch richtig sei, war dieses, daß in den Dörfern oft geheime Zusammenkünfte gehalten wurden. Es wurden Klagschriften über sie eingereicht. Viele glaubten nicht, daß es so böse werden würde, wie es zuletzt wurde. Bartsch legte sich bald aufs Bitten, und wurde wieder aufgenommen.

 

 

Höppner wird ins Gefängnis geworfen

   Der andere Deputierte Höppner konnte sich aber nicht dazu schicken, und da er es zuletzt doch tat, so nahmen sie ihn nicht auf, denn sie hatten ihn schon beim Kaiserlichen Hof verklagt. Da die Klagschrift, wahrscheinlich unter Beihilfe des Directors, sehr sorgfältig gestellt und unterzeichnet war, so war hier an keine Nachsicht zu denken, das Urteil kam in aller Strenge heraus. Ihrer 12 mußten die Richtigkeit ihrer Angabe mit dem Eid bestätigen, was ihnen, den Anstiftern, zwar fürchterlich vorkam, aber um ihre Ehre zu retten, setzten sie die Seele zum Pfände.

   Hier war keine Spur von Gerechtigkeit und Menschenliebe mehr zu finden; Höppner wurde von den damaligen Brüdern ergriffen, nach Iekaterinoslaw gebracht und ins Gefängnis gesteckt. All sein Vermögen wurde aufgeschrieben, versiegelt und beim Hause Wache gestellt. Hier erschreckt, meine lieben Kinder, und nehmet euch in Acht, daß ihr an solchen pöbelhaften Gewalttaten nie Teil nehmet, wo man schonungslos und ohne Rücksicht wider seinen Nächsten verfährt. Es waren kaum noch einige Nachfolger unseres Heilandes mehr unter uns. Doch wollen wir hoffen und glauben, daß der Herr sich noch Samen erhalten, sonst wäre es ja aus mit uns gewesen. Was das für ein Schmerz für Frau und Kinder war, ist schwer auszusprechen.

 

Höppners Wirtschaft wird versteigert

    Es wurde bald der Ausruf angekündigt, für bar Geld zu verkaufen, und weil die Kolonie an Geld noch arm war, so war nicht Aussicht, daß da etwas Ersprießliches herauskommen werde, auch nur die Kronsschulden zu decken; deßhalb machten gutdenkende Männer es den umliegenden Gutsbesitzern (Edelleuten) bekannt und baten sie zu kommen, um etwas zu kaufen, damit vielleicht der Familie einiges zum Unterhalt übrig bleibe. Allen unbeteiligten Herrschaften erschien diese Handlung der Mennoniten als unbarmherzig und auch rechtswidrig, weil sie auch glaubten, daß die Eingabe nicht Grund habe. Denn Höppner war beschuldigt, Geldunterschleife gemacht zu haben. Die Strafe war aber Höchsten Orts entschieden und mußte also vollzogen werden, und Kaiser Paul war bei Ungerechtigkeiten sehr streng.

   Als der Ausruf kam, und Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine, Wagen, Pflug, Eggen, Wanduhr, Bettgestell, Hausgierät, Kupfer und Zinn verkauft waren, und so viel bares Geld eingekommen, daß die Krone befriedigt werden konnte, wurde mit dem Verkaufen aufgehört. Jetzt kam das Mitleid nach oben: wer die Schafe gekauft hatte, gab zehn Stück, wer die Pferde, gab ein Jährling, wer das Rindvieh, gab eine Kuh zurück. Das waren Christen Griechisch-Rechtgläubiger Kirche, mit denen du, lieber Leser, auch wohl im Himmel zusammen sein möchtest! Was aber die Menge Schreier, die in unserer Mitte aufgestanden, für Ungerechtigkeiten begehen kann, davon liegen hier die Beweise. Einen Verirrten hätten sie nach Christi Lehre seiner Fehler überzeugen sollen, nach Befinden bestrafen und ihn zur Wiederkehr und Besserung zu bringen suchen sollen. Diese Schreier übten aber lieber durch vernunftloses Toben ihre Wut an ihm aus und brachten dadurch einen Unsegen auch auf ihre Nachkommen.

   Es ließ sich hören, daß Höppner nach Sibirien verschickt werden würde. Die nächsten obrigkeitlichen Personen bezeugten sich aber mitleidig gegen ihn und verzögerten die Vollstreckung nach Möglichkeit. Aus dem Gefängniß wurde er ausgebürgt, und zwar von Christen Lutherischer Confession. Nun geschah ein Wunder. Kaiser Paul starb plötzlich und Kaiser Alexander I. kam auf den Thron, dessen Manifest allen leichten Verbrechern bis zu 2000 Rubel Kronsschulden Begnadigung schenkte. Höppner wurde gleich frei gelassen. Wären seine Güter nicht schon verkauft gewesen, so wären sie vom Arrest frei geblieben. Seine Gefängnißhaft währte ungefähr ein Jahr.

 

 

Höppner, verbittert über den Undank der Menschen

   Aus der KolonialGemeinschaft war und blieb er aber ausgeschlossen, weil er nicht um Aufnahme nachsuchte. Er war nur darum besorgt, daß man ihn nach seinem Tode nicht möge auf dem gemeinschaftlichen Kirchhof, zum Anstoß Anderer, sondern auf seinem mit Mühe erworbenen Acker mit seiner Frau begraben. Um Wiederaufnahme bei seiner (flamischen) Gemeinde  anzuhalten, konnte er sich nicht entschließen, deßhalb hielt er bei der friesischen Gemeinde an, die ihm die Beischreibung auch bewilligte, wie folgendes Zeugnis dieses beweist:

  „Wir bescheinigen dem Vorzeiger dieses, dem Jacob Höppner, daß wir in unserm Dorfe an seiner Arretirung keinen Teil noch Gegenstand nicht haben. Indem er aber verlanget, bei uns als freier Mann eingeschrieben zu werden, so bescheinigen wir kraft dieses, wenn das Hochverordnete Gericht es erlaubt, den Höppner uneingeschränkt derowegen bei uns einzuschreiben.“Schönwiese den 9. August  1801.

                       Peter Penner,  Schultz.  Heinrich   Janzen,   Ältester.

 

    Er wurde aber doch nicht eingeschrieben. Wie das zuging, weiß ich nicht. Vielleicht deßhalb, weil er von der gesammten Mennoniten-Gemeinde der Regierung überliefert worden, so dürfe ein Teil derselben ihn auch nicht aufnehmen. Er ließ sich in Alexandrowsk als Bürger einschreiben, war aber kein Mitglied einer kirchlichen Gemeinschaft.

 

 

Wirrwar in der Friesischen Gemeinde

    Da anfangs bei den Friesischen sowohl, als auch bei den Flämischen die Unsitte eingerissen war, oft Kirchenlehrer abzusetzen und andere zu wählen, so gab das große Verwirrung und Uneinigkeit. Mit der Ankunft der beiden Ältesten aus Preußen hatte dieses unordentliche Absetzen denn doch ein Ende. Gleich nach deren Ankunft starb der Ehrwürdige Älteste der Friesischen Gemeinde, auf dessen Begräbniß die beiden erwähnten Gastältesten anwesend waren. Hier wurden sie von der Gemeinde gebeten, eine Lehrerwahl abzuhalten. Unter ihrer Leitung wurden zwei Lehrer gewählt. Diese Gemeinde bestand aus ungefähr 50 Familien. Auch der angereiste Ehrwürdige Älteste  Cornelius Regier starb bald nach der Lehrerwahl, hatte aber vorher seinem Begleiter, dem Ehrsamen Lehrer Cornelius Warkentin die Ältestenbedienung aufgetragen. Deßhalb bediente dieser die Gemeinde mit Taufe und Liebesmahl.

    Wie ich in der Reisebeschreibung angemerkt, daß der Herr mit im Werke sei, so fand sich dies auch hier. Als die Friesischen in ein besonderes Dorf zusammenzogen, wurden sie von den Deputierten, und insbesondere von Jacob Höppner, nicht vorteilhaft beurteilt, weil sich unter denselben noch mehr Uneinigkeit entwickelte, als bei den Flämischen. Bei jener kleinen Gemeinde waren schon drei Lehrer ihrer Funktion enthoben, bei dieser, bei weitem größern, noch nur zwei. Daher könne nach Höppners Meinung diese Gemeinde nicht lange bestehen. Sie bestand aber und wurde endlich sein Rettungsanker. 

 

 

Höppner will nicht auf einem mennonitischen Friedhof beigesetzt werden

    Wir wollen nun hören, wie diese Gemeinde sich entwickelte. Bei der Anlegung der Kolonie Schönwiese kam auch ein gewisser Heinrich Janzen, der bald zum Lehrer und dann zum Ältesten berufen wurde, welchem Amte er auch viele Jahre vorgestanden. An diese Gemeinde schlossen sich auch die Kronsgartner an. Beide Kolonien stehen bisher unter einem Ältesten. Bei der Verfolgung der Deputierten hatten die Friesischen nie Anteil genommen, waren also rein von der Sache. Weil Höppner nun von seiner Gemeinde sich lieblos behandelt fühlte, daß sie ohne alle Rücksicht mit ihm verfuhr, so wollte er auch lieber sich nicht mehr zu ihrer Gemeinschaft zählen, worin ihn auch andere vernünftige Leute bestärkten, deßhalb versuchte er noch einmal, bei den Friesischen angenommen zu werden, wogegen weder die Gemeinde noch der Älteste Einwürfe machten, da sie auch einsahen, daß die flämische Gemeinde nicht nach der Liebe Art mit ihm gehandelt. Deßhalb entschlossen sie sich, ihn als einen von der Gemeinde Gestraften aufzunehmen, bei welcher Gemeinde er mit Frau und Kindern viele Jahre in Frieden auf seinem Grundstück bei seinem Sohne, Jacob Höppner bis an sein Ende gelebet. Seine Frau starb fünf Tage früher als er. Als er nun auch das Zeitliche segnete, wurde das Grab seiner Frau geöffnet und sein Sarg beigesetzt, so daß sie in einem Grabe ruhen. Er hatte früher von seinen Kindern sich mit „Ja" an Eidesstatt versprechen lassen, daß sie ihn und seine Frau auf seinem Acker begraben würden, was auch geschah.

   Ich habe die Vorgänge in der friesischen Gemeinde mit großer Aufmerksamkeit verfolget und gefunden, daß sie, der er anfangs kein Zutrauen schenkte, seine Zuflucht sein mußte. Als er noch im „Wohnhaus" wohnte, wurde er von Räubern überfallen, welche ihn und seine Frau halb todt schlugen und die Kinder banden, vielleicht willens alles zu ermorden, denn sie glaubten hier eine Summe Geldes, d. h. Gemeindegelder zu finden, wie feindselige Nachbaren den Russen eingeredet. Die Räuber fanden aber nur 14 Rubel, auch die nahmen sie nicht mit, denn es kam eine andere Hand über sie, daß sie in aller Eile zusammen rafften, was sie konnten und flohen. Obzwar er nun durch diesen Raubanfall und später durch die unselige Auction fast sein ganzes Vermögen verlor, so hat er doch mit Gottes Segen so viel vor sich gebracht, daß er bei seinem Ableben im Besitze von zeitlichen Gütern in der Kolonie wohl einer der vordersten war.

 

 

Abschluss

    Hier, meine lieben Kinder, habe ich, soviel ich konnte, die Geschichte der Einwanderung kurz und bündig beschrieben. Empfehle mich nun Gott und seiner Barmherzigkeit und Gnade. Ihr wollet alles, was ihr hier leset, in Liebe deuten und Niemanden beschuldigen in irgend etwas, sondern Gott für alle Menschen ohne Ausnahme um Gnade anflehen, auch daß er unser Allergnädigstes Kaiserliches Haus in Gnaden erhalten und ewig segnen wolle! -

    WeilandKirchenlehrer Peter Hildebrand

 

 

 

Nachtrag:   

    Am Geburtstag von Taras Shevchenko, der zum Vater der Ukraine ernannt wurde, sehen wir die mennonitische Verbindung zur Insel Khortitza und dem umliegenden Land, das 1789 von den ersten Mennoniten besiedelt wurde. Dies ist ein Auszug aus einer Erzählung ukrainischer Historiker, die in einer Broschüre über das mennonitische Grabstein-Denkmal auf der Insel Khortitzaaufgenommen werden sollte.

    „Eine Gruppe von Mennoniten aus Danzig (heute Gdansk, Polen) kam am 20. Juli 1789 auf der Dnjepr-Insel Khortytsia an. Die Siedler landeten auf einem Pier in der Nähe von Muzychyna Beam. Kosak Matviy Shut (Dvoryanenko) bemerkte Menschen in europäischer Kleidung. Er begrüßte sie auf Ukrainisch und sprach freundlich. Doch das Gespräch klappte nicht: Die Neuankömmlinge sprachen eine dem Deutschen ähnliche Sprache.

    Die Zaporizhianer trafen persönlich Jacob Hoeppner, einen mennonitischen Delegierten, der zuerst kam, um den Ort des zukünftigen Wohnsitzes zu inspizieren, und ihm am nächsten Tag ein Paar Gänse, Enten und Hühner als Geschenk schickte. Die Erinnerungen der Siedler erwähnen den Kosaken Gromukha, der die Kolonisten freundlich als gute Nachbarn behandelte.

   Aus dem Gedicht von Shevchenko „Testament

    Wenn ich sterbe,

   lass mich ruhen, lass mich liegen

   inmitten der weiten Steppen der Ukraine.

   Lass mich sehen

   die endlosen Felder und steilen Hänge

   Ich halte es so lieb.

   Lass mich hören

   das große Getose des Dnjepr

      Der Delegierte Jacob Hoeppner ist auf der Insel Khortitza begraben, und bis vor kurzem gab es keine Grabsteine. Sein Grabstein und Denkmal wurden 1973 von Mennoniten gekauft und nach Kanada transportiert. Sie wurden auf dem Gelände des Mennonite Heritage Village in Steinbach, Manitoba, installiert.

     Während Max Shtatsky an dem Mennonitischen Grabstein-Gedenkprojekt auf der Insel Khortitza arbeitete, beschlossen er und einige andere Historiker, die Grabstätte von Hoeppner zu finden. Sie wollten Hoppner mit der Platzierung eines nachgebildeten Grabsteins auf der Grabstätte ehren. Nachdem die Grabstelle lokalisiert war, räumten sie das Gestrüpp und bereiteten die Stelle für den Grabstein vor. Ein ortsansässiger Bauunternehmer und Künstler wurde beauftragt, die Nachbildung sowie einen zweiten Stein herzustellen. Diese Steine befinden sich jetzt auf der Grabstätte von Jacob Hoeppner.

Ende

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