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Texte aus der Mennonitischen Rundschau
Brautschau eines Predigers
(Damals geschah es oft, dass auch ein Prediger sich eine neue Partnerin suchen musste, denn viele Frauen starben z.B. bei der Geburt eines Kindes oder auch an Krankheiten, für die die Medizin noch keine Antwort hatte)
Wenn ein Prediger auf die Brautschau geht, gilt ihm auch, was Schiller in seiner „Glocke“ singt: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet.“ Das ist wohl die erste Bedingung für eine glückliche Ehe.
Doch jener Inspektor eines Missionshauses in Europa hatte auch nicht unrecht, als er seine Zöglinge mahnte: „Nehmt eine Frau, die weiß, wenn sie den Kopf an die Wand stößt, wo es gebumst hat.“ Das war wohl etwas prosaisch ausgedrückt, doch die jungen Theologen verstanden ihn schon. Nicht jedes junge Mädchen paßt zur Predigersfrau und nicht jeder junge Mann zum Predigtamt.
Wenn jedoch ein Mensch die Freudigkeit hat und einem inneren Drang zu diesem Stand folgt, wird er erfahren, daß er den köstlichsten Beruf von allen gewählt hat. Und wenn wir die Predigerfrauen unserer Bekanntschaft näher ansehen, müssen wir uns sagen, es sind vortreffliche Persönlichkeiten, fast ohne Ausnahme tüchtige Ehefrauen und Gehilfinnen, gute Mütter, die ihrem Hauswesen recht vorstehen und der Gemeinde ein gutes Vorbild geben.
Wenn dann einem Prediger die Frau durch den Tod genommen wird, ist er doppelt zu bedauern. So war es mit einem unserer lieben Prediger. Er führte mit seinen Söhnen die Hauswirtschaft, die immer mehr zurückging und immer misslicher wurde. In seiner Verzweiflung bat er eines Tages den lieben Gott – ähnlich wie damals der alte Elieser –: „Lieber Gott, du siehst meine Not. Schicke mir eine Lebensgefährtin. Lass es die erste Frau sein, die über meine Türschwelle tritt.“ So etwas mag er gebetet haben. Ob nun Gott mit dem Armen Erbarmen gehabt u. ihm den Willen gewährt hat, weiß ich nicht. Doch in der ersten Frau, die darauf in sein Haus kam, sah er eine tüchtige Persönlichkeit, die ihm in Alter und Bildung gleich stand und ihm eine passende Ehe- und Predigersfrau sein würde. Und er hat sich nicht getäuscht. Wir möchten jedoch das Mittel keinem anraten. Beten, sicher, daß Gott uns leiten möge, aber ihm keine Vorschriften machen über das Wie u.s.w.
(Nun geht der Autor des Textes auf ein anderes Thema über: das Losziehen, den Willen Gottes suchen durch das Ziehen eines Loses erfahren)
Wir denken da auch an das Losziehen, den Brauch, für einen Missionar auf fernem Missionsfeld eine Braut durch das Los zu bestimmen. Wir müssen uns über den Mut jener Braut freuen, die, als sie in fernem Land ankam und ihren „Zukünftigen“ erblickte, kurz und bündig erklärte: „Den heirate ich nicht“. In damaliger Zeit wird man wohl sehr an ihrem Christentum gezweifelt haben.
Im Altertum haben die Heiden den Willen ihrer Götter durch Orakel und andere Mittel erforscht. Auch im Alten Bund lesen wir vom Los. Doch Jesus hat das Losen niemals empfohlen, und nur ein einziges Mal wird es im Neuen Testament genannt. Und da scheint es missglückt zu sein.
Die Jünger, die einen aus ihrer Zahl verloren hatten, wollten einen Zwölften durchs Los bestimmen. Man hört auch nichts mehr von Matthias, und Gott erkor sich zum „auserwählten Rüstzeug“ einen, auf den die Jünger nie gekommen wären, den Verfolger Saulus.
Manche von uns haben sicher schon in schwierigen Lebenslagen die Bibel aufgeschlagen, ob uns Gott nicht einen Wink geben möchte. Oder wir haben einen Spruch gezogen. Und wie oft hat der Spruch uns gar nichts gesagt und wir haben es noch einmal probiert. Manche von uns, denen das „Losungsbüchlein“, das die Brüdergemeinde jährlich herausgibt, ein tägliches Wort zuruft, haben aus diesem in der Neujahrsnacht einen Spruch fürs neue Jahr gezogen. In einer Schachtel waren 365 Blättchen, auf jedem ein Datum – 1. Januar, 2. Januar, usw. – Man zog ein Blättchen, und die Losung, die an jenem Tag im Losungsbüchlein stand, war uns eine Losung fürs Jahr.
Wenn man dann in ernster Erwartung, gespannt, einen Spruch zog wie z.B.: „Wehe dem, der Böses gut und Gutes böse heißt“, war das doch sehr bedrückend. Zog man aber einen Spruch wie: „Habe deine Lust an dem Herrn, der wird dir geben, was dein Herz wünscht“, das war doch etwas Schönes, Ermutigendes!
Wenn man das so recht überlegt, kommt einem das Losen doch recht kindisch vor, eine Spielerei mit etwas Heiligen. Es ist gut, daß man heute immer mehr davon abkommt. Das ist auch ein Wachstum in der Erkenntnis.
Als ich vor einigen Tagen über die Gewohnheit des Losens nachdachte, ob ich wohl etwas darüber in der „Frauenecke“ bringen sollte, fiel mir ganz zufällig das interessante Büchlein von Dr. Ludwig Schneller in die Hand: „Erinnerungen eines alten Pfarrers“. Darin bringt er auch ein Kapitel: „Vom Losen.“
Dr. Schneller erzählt ein Erlebnis, das Professor Dr. Walther in seinen „Lebenserinnerungen“ mitteilt. „Dieser war mit seiner Frau in die Schweiz gereist, um im abgelegenen Niederridenbach seine Ferien zu verbringen. Ein Telegramm aus seiner fernen norddeutschen Heimat meldete die schwere Erkrankung seines Söhnchens Martin. Heiße Angst um das Leben ihres Kindes ergriff die Eltern. Sie wären am liebsten sofort nach Hause gefahren, doch an jenem Tag fuhr kein Schiff mehr von Stansstadt über den Vierwaldstätter-See nach Luzern. Der ganze Gasthof war voll Teilnahme. Was für eine Nacht die armen Eltern durchmachten, kann man sich denken. Am anderen Morgen trat eine freundliche Schweizerin, die mit am teilnehmendsten gewesen war, mit strahlendem Gesicht zu dem Pfarrer und sagte: „Herr Professor, ich habe eine frohe Botschaft für Sie. Über Ihren Sohn können Sie beruhigt sein. Denn die Losung des heutigen Tages ist Johannes 4, 50: Dein Sohn lebt!“
Er dankte ihr für ihre Teilnahme, verhehlte ihr aber nicht, daß er sich auf die Losung nicht verlassen könne. Denn wenn dieses Wort deshalb, weil die Brüdergemeinde es für diesen Tag gewählt habe, die von ihr gemeinte Bedeutung hätte, dann dürfte ja an diesem Tag auf der ganzen Erde kein Sohn sterben. Und bald genug sollte sie ihren Irrtum einsehen. Am Nachmittag kam das Telegramm: „Martin gestorben!“
Dr. Schneller schreibt zum Schluß: „Das Herz wird uns oft schwer werden, wenn wir vor einer schicksalsschweren Entscheidung stehen. Aber wir wollen uns dann auf die drei gottgewollten Mittel beschränken, die uns auch in den schwersten Tagen nicht im Stich lassen werden: „Gebet, Gewissen, verständige Überlegung.“
Je mehr wir über das Losen nachdenken, je klarer wird es uns, daß es eigentlich ein Mißbrauch der heiligen Schrift ist, ja eine Herausforderung und Versuchung Gottes. Wie sagt doch jener Mann in einer Ganghofer-Geschichte? „Ach, du allgütiger Gott! Was musst du dir nicht Alles zumuten lassen!“.
Mennonitische Rundschau vom 11. März 1942
Alte Leute
(In diesem Text geht es dem Autor um den Stand alter Leute in den USA im Jahre 1942. Es geschah gerade der Zweite Weltkrieg 1939-1945. Dieser Text wurde vor beinah 100 Jahren geschrieben. Was davon ist noch heute aktuell?)
Sie sind ein nationales Problem in den Staaten geworden. Früher hatte man kinderreiche Familien – also viel Jugendliche und Kinder, dazu wenig Alte. Heute liebt man kleine Familien zu haben, und die Leute werden durchschnittlich viel älter als vordem. Es gibt daher verhältnismäßig wenig Jugend und viel Alte. Noch im Jahre 1850 war die durchschnittliche Lebensdauer eines Menschen 35 Jahre, heute (d.h. im Jahre 1942) sind es 60 Jahre. Dazu beanspruchen die Jugendlichen alle Arbeit und allen Verdienst für sich. Die Alten haben ihr Teil vom Leben gehabt, sie sollen nun abtreten und den Jungen Platz machen. Eine bestimmte Altersgrenze ist gesetzt worden, bis zu welcher ein Mensch Arbeit beanspruchen dürfe; wird er älter, dann heißt er untauglich für die Arbeit und wird Arbeitsloser.
Nun besteht das Bestreben, die Arbeitsgrenze immer mehr herabzudrücken, und damit wird die Zahl der arbeitslosen Alten größer. Natürlich gewährt man ihnen eine Unterstützung in Gestalt einer Pension, stellenweise bis $200 pro Monat. Wenn aber die Alten schon mit 55-60 Jahren pensionsfähig werden, so muss es dahin kommen, daß diese Pension das Staatsbudget erheblich belasten mögen.
Das ist die finanzielle Seite des Problems. Aber da ist noch eine andere Seite – die seelische. Das Kronrecht jedes freien Menschen ist das Recht der freien Arbeit. Wird dieses von Gott gegebene Recht dem Menschen genommen, so ist das ein Verbrechen gegen die Natur und gegen Gottes Ordnung, ein Verbrechen, das sich schwer rächen kann. Das Ausstoßen des Menschen aus dem Beruf, aus der Arbeit kann mit schweren seelischen und auch körperlichen Störungen verbunden sein (Die Arbeit macht das Leben süss. Auch nach der Pensionierung?). Amerika ist sehr geneigt, die Jugend übermäßig zu verherrlichen und das Alter darüber zu vernachlässigen. Wie gesagt, das Alter kann zum Problem werden. Den Alten muss daher geholfen werden.
Es ist stark, eine Person mit 40 Jahren bereits als arbeitsunfähig zu erklären, wenn Körper und Geist oft noch ungewöhnlich frisch erscheinen und das Blut rege pulsiert. Der Mann steht noch in den besten Jahren seines Lebens und im Vollbesitz seiner Kräfte, noch hat sich kaum ein graues Haar gezeigt – aber schon läuft er Gefahr, zum alten Eisen geworfen zu werden. Charakter und Geist sind eben erst zur vollen Reife erblüht. Schön ist die Blüte (die Jugend), aber noch herrlicher ist die Frucht. Es strebt und irrt der Mensch, solange er jung ist, nun aber (etwa mit 40 Jahren) hat er sich zur Klarheit und zur Reife hindurchgerungen – nun soll's erst recht an die Erfüllung der Lebensaufgabe gehen, nun will der Adler seine Schwingen entfalten, aber da kommen die Menschen mit der stupiden Forderung: abtreten und anderen Platz machen!
Und wenn der Mensch abtritt, besser gesagt, abtreten muss, dann wird er alt, einerlei, ob er 40 oder 70 Jahre alt ist, und oft gefährlich alt. Das gezwungene Ausspannen bedeutet zumeist einen schweren Umschlag in der physischen und auch der geistigen Verfassung eines Menschen. Ehrgeiz und Selbstvertrauen werden gewaltig erschüttert. Dazu kommt, da solche Ausgetretene vielfach unnötig um ihre Gesundheit besorgt werden, und gerade dieses Grübeln darüber kann die Kraft des Körpers ruinieren: Herz-, Nieren- und Magenstörungen können die Folgen sein.
Ausgespannt werden mit 40 Jahren. (Glücklicherweise ist es nicht immer so schlimm). Wie, wenn aber dem einen und dem andern gesetzt ist, 75 – 80 – 90 – 100 Jahre alt zu werden? Und dabei 40-50 Jahre zu vegetieren, ohne einen Beruf zu haben und ohne eine Lebensaufgabe zu erfüllen! Das ist geradezu eine Katastrophe für manche.
Einige der größten Lebensaufgaben wurden von Menschen im hohen Alter erledigt. Sophokles schrieb seine Trilogie Ödipus, 90 Jahre alt; Tizian malte ein berühmtes Gemälde im 99. Jahr. Im Alter von 70, resp. 80 Jahren haben Franklin und Edison noch im Segen gearbeitet. Es ist stupide zu behaupten, daß alte Leute nicht mehr ein volles Menschenleben leben können und unfähig für die Ausführung hoher Aufgaben sind.
Belaßt die Alten in ihrem Beruf, nehmt ihnen denselben nicht! Vielleicht kann er ihn in irgendeiner leichteren Form ausüben. Jedenfalls kann es gefährlich werden, einen Menschen zu plötzlich aus einem bestimmten Kreis von Pflichten herauszuheben. Mehr noch, jemand empfiehlt, jüngere Leute sollten die alte reiche Erfahrung ausnützen, indem sie zur Einführung in einen Beruf einem erfahrenen Alten als Assistenten beigegeben würden. In diesem Sinne schlug einmal Lehrer A. A. Neufeld, Chortitza vor, Lehrer-Anfänger täten gut, erst einige Jahre bei alten Praktikanten als Unterlehrer zu arbeiten. Die Erfahrung Alter ist ein Kapital, das nicht unterschätzt werden sollte.
Nehmt einem Alten den liebgewonnenen Beruf nicht, vielleicht kann er ihn in einer leichteren Form auch weiter ausüben, wenn er nicht voll arbeitsfähig gilt. Aber auch, wenn sie genötigt werden abzutreten, sollten sie doch zu irgendeiner Sanierung greifen. Ein vollständiges Ausspannen nach einem arbeitsreichen Leben kann den augenblicklichen Tod zur Folge haben.
Mennonitische Rundschauf vom 8. Juli 1942
Woher kommen die Nervenkrankheiten?
(Dem Schreiber geht es hier um mennonitische Nervenkranken. Die hat es immer zahlreich in unserer Mitte gegeben. Ich fragte meine Mutter mal diesbezüglich. Sie meinte: "Unter uns hat es schon immer wunderliche Menschen gegeben!" Es gibt dafür auch abschätzige Benennungen wie "verrückt", "dumm", "geisteskrank". Das Wort "wunderlich" ist eine freundlichere Benennung.)
Der Ursachen sind viele. Ich spreche schon einige Mal davon. Einer davon ist: Mennoniten wollen reich sein, sie meinen, sie müssten reich sein. Ihnen ist nur dann recht wohl, wenn sie viele Güter haben, und dann stellt sich erst recht das Unwohlsein ein. Man geht hin unter den Sorgen des Reichtums und landet oft im Irrenhaus.
P. M. Friesen (wohl der berühmteste Geschichtler unter den Mennoniten) sagt dazu: "Wahr ist, daß ein schrecklicher Materialismus, ein leidenschaftliches, ja wildes Jagen nach Reichwerden (unter Mennoniten) immer weiter und tiefer um sich greift; und auch das ist wahr, da die bekennenden Gläubigen aller Gemeindegruppen in großer Anzahl an dem wilden Jagen teilnehmen, und daß infolge dieses Jagens Bankerotte: finanzielle und damit verbunden geistliche und moralische Bankerotte der „Kinder Gottes“ zu den traurigen Alltagsdingen gehören“. 1. Tim. 6, 9: „Die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke des Teufels und viel törichte und schädliche Lüste, welche die Menschen versenken in Verderben“. Wenn Mennoniten nicht immer reich sein wollten!
H.G.Z.
Mennonitische Rundschau vom 22. Juli 1942
Die Mennonitische Rundschau wurde weltweit von allen Mennoniten gelesen, denn damals sprach beinah die gesamte Mennonitenschaft Deutsch, egal in welchem Land sie sich befand. Und die Rundschau veröffentlichte auch Meinungen und Äusserungen von Lesern.
So kann der obige Text nicht als Meinung der Rundschau angesehen werden, denn ganz sicherlich bringt der Text eine sehr einseitige Anschauung der gestellten Frage.
Nervenkrankheiten können viele Ursachen haben, wobei das Reichwerden wollen wohl die geringste Ursache ist. Der Text ist aber trotzdem bedeutsam, denn er hebt eine mennonitische Eigenschaft hervor: das Reichwerden wollen, sei es im Jahre 1942 oder in der Zeit der Mennoniten in Russland. Wir sind seid eh und je fleissig und sparsam. Das ist gut. Das führt aber oft dazu, dass wir auch reich werden. Und das erzeugt oft Engherzigkeit und Selbstgenügsamkeit. Der Reiche kommt dann oft zu der Überzeugung, dass er Gott nicht braucht.
Auch der reiche Mennonit?
Gehen Mennoniten in der Stadt unter?
Der folgende Artikel aus der Mennonitischen Rundschau vom Jahr 1942 wirft Fragen auf, die uns noch heute betreffen. Was bedarf es, um Mennonit zu bleiben? Geht das Mennonitentum in einer Stadt unter?
Eine brennende Frage des Mennonitentums
Man hat von den Mennoniten gesagt, daß sie in einer Hand die Bibel halten und in der anderen den Pflug. Das heißt, daß sie bibelgläubige Bauern sind. Ohne Zweifel ist das eine treffende Charakterisierung eines großen Teiles des Mennonitentums. Selbst diejenigen unter uns, die etwas länger auf der Schulbank gesessen haben und nicht mehr auf der Farm seßhaft sind, bleiben in ihrer Denkart und Lebensweise mehr oder weniger ihrer Überlieferung treu.
Dennoch können wir uns der Tatsache nicht verschließen, daß in dieser Beziehung große Veränderungen stattfinden (Dieser Schreiber lebt in Kanada, und schreibt während des 2. Weltkrieges). Unser Christentum und unsere Lebensweise insgesamt wurden in Rußland besonders von zwei Faktoren stark bestimmt.
Erstens waren wir fast ausschließlich Bauern.
Zweitens lebten wir als Bauern auf geschlossenen mennonitischen Ansiedlungen.
Das war die doppelte Hülle, in der wir unser mennonitisches Christentum mit allen seinen guten, und auch weniger guten Eigenschaften erhielten (Um Mennonit zu bleiben bedarf es einer doppelten "Hülle", eines zweifachen Schutzes: 1. Bauern zu bleiben, 2. Auf dem Land in geschlossener Siedlung zu wohnen, also Bibel & Pflug)
Etwas anders steht es augenblicklich (im Jahr 1942) in unseren Gemeinden in den Vereinigten Staaten und in Canada. Wir sind nicht mehr nur ein „Volk von Bauern“. Und selbst wo wir es noch sind, ist die Geschlossenheit und die Isolierung unserer Ansiedlungen durchbrochen. Viele von uns leben in der „Diaspora“, Zerstreuung (die mennonitischen Farmer waren dahin gezogen, wo sie Land fanden, und das war oft weitab von einer mennonitischen Siedlung). Der Farmer in der „Zerstreuung“ ist einer Menge von Einflüssen ausgesetzt, die derjenige in der geschlossenen Ansiedlung nicht kennt. Durch diese Entwicklung wird unser historisches Mennonitentum, d. h. wie es sich in der Vergangenheit entwickelt und gebildet hat, einer schützenden Hülle beraubt. Eine Hülle bleibt ihm auch auf der isolierten Farm noch. Das ist sein Bauerntum. (Es hat sich also im Laufe unserer Geschichte ein "Mennonitentum" gebildet, dass unbedingt diese zwei Hüllen braucht: dass der Mennonit als Bauer tätig ist und in einer geschlossenen Siedlung wohnt)
Aber viele von uns suchen, besonders in der letzten Zeit, Arbeit in Städten und Industrien. Hier werden wir auch der zweiten Schützhülle beraubt. Der Bauer ist in seiner Tradition gewurzelt, wie ein Baum in der Erde. Nicht so derjenige, der seinen Unterhalt in der Stadt und Industrie sucht. Es stürmen so viele Einflüsse auf den jungen Menschen ein, daß der Sturm für den schwach gewurzelten jungen Baum oft zu stark wird. Stadtmissionen und Neugründungen von Gemeinden in Städten ist ein Versuch der Lösung dieses Problems. Aber ist es eine vollständige und befriedigende Lösung?
Viel ist schon hierüber gedacht, gesprochen und geschrieben worden. Besonders auch in der letzten Zeit. Auch auf Konferenzen ist dieses Problem behandelt worden. So wurde auch auf den „Menn. Silit. Konferenzen“ in Chicago (Weihnachten 1941) und in Winona Lake, Indiana, im August dieses Jahres, wiederholt darauf hingewiesen, daß wir uns mitten in einer Bewegung von dem Land zur Stadt befinden (Diese Bewegung trat unter uns brasilianische Mennoniten erst Ende der sechziger Jahre ein).
Es ist nicht meine Absicht und ich bin auch nicht in der Lage einen allumfassenden fertigen Plan zur Lösung dieser brennenden Frage vorzulegen. Ich möchte nur noch auf zwei Tatsachen hinweisen, die uns in dieser Beziehung Richtlinien geben könnten.
Gegenwärtig haben wir in Canada und den Staaten mehrere tausend junge Männer in den Lagern (Das sind mennonitische Jugendliche, die sich geweigert hatten, in den Krieg zu ziehen und mussten in Lagern einen Ersatzdienst leisten). Heute würden sie Verdienstmöglichkeiten haben, wenn sie daheim (auf dem Land) wären. Werden sie dieselbe auch haben, wenn der Krieg vorüber ist? Sicherlich nur in einem sehr geringen Maße. Wäre es daher nicht – und besonders aus den oben angeführten Gründen – sehr wünschenswert, schon heute Vorbereitungen zu treffen, daß unsere jungen Männer nach Kriegsschluß eine Möglichkeit zur Ansiedlung auf dem Lande fänden! Zwei Faktoren sind dabei wichtig. Erstens, daß jeder, der will, Gelegenheit zur Siedlung auf dem Lande finden sollte und zweitens, daß diese Siedlungen geschlossene mennonitische Siedlungen sein sollten.
Viele Fragen steigen in uns auf, wenn wir so einen Plan erwägen. Mancher mag sagen: Unmöglich! Wo ist das Land? Wo ist das nötige Kapital? Wo ist die verantwortliche Stelle?
Mit Bezug auf die Frage der Finanzierung und Durchführung so eines Planes kann uns unsere Vergangenheit manches lehren. Hat nicht unser Ersatzdienst für den Militärdienst in den Staaten und in Canada eine lange Tradition in Rußland und in anderen Ländern hinter sich! So haben wir auch eine Geschichte und eine Tradition in der Lösung der Landfrage. Vielleicht hätten wir in dieser Beziehung mehr lernen können.
Wir wissen etwas von den vielen Kämpfen und bitteren Erfahrungen, die nötig waren, bis unsere Väter in Rußland vor etwa 100 Jahren ein System der Siedlung der Landlosen fanden, das bis zum Ausbruch der Revolution zum großen Segen wurde. Der geistliche, kulturelle und wirtschaftliche Aufschwung, wie die Ausbreitung des Mennonitentums über ganz Rußland, sind sicher zu einem großen Teil der Tatsache zuzuschreiben, daß unsere Väter den Weitblick, die Opferwilligkeit und die Organisationsfähigkeit besaßen, durch die sie die Krise der Landlosenfrage überwanden.
Sollte sich nicht für dieselbe Frage, wenn auch in anderen Verhältnissen und Umständen, jetzt eine Lösung finden lassen. Mit Gottes Hilfe geschah es damals und sollte es auch heute möglich sein.
Cornelius Krahn.
Mennonitische Rundschau vom 16. September 1942
Zwei Monate später kommt eine Reaktion auf den obigen Text von Cornelius Krahn. Dieser Schreiber, B. Schellenberg, versucht die Frage von einer anderen Perspektive zu beleuchten. Die Flucht der jüngeren Mennoniten vom Land in die Stadt ist nicht aufzuhalten. Was könnte man also tun?
Eine brennende Frage
Von Dr. E. Krahn (Rundschau Nr. 37).
Dr. Krahn bedauert die unter Mennoniten um sich greifende Bewegung in die Stadt (d. h. Leute ziehen das Stadtleben dem Landleben vor und ziehen in die Stadt) und betont die Notwendigkeit großer geschlossener Siedlungen für unser Volk. Und ich war längere Zeit schon der Ansicht, die Mennoniten in den Staaten hätten sich bereits mit der Tatsache abgefunden, und diese Bewegung sei dort kein Problem mehr. Dabei interessiert mich, nebenbei gesagt, daß das Mennonitentum in den Staaten zahlenmäßig abnimmt: ob das mit dieser Bewegung in die Stadt zusammenhängt.
Ueber diese Bewegung wird in vielen Ländern geklagt, sogar in dem alten Lande Rußland. Der Zuwachs in manchen Städten der alten Heimat ist bedeutend größer geworden. Und als nach der Revolution (Er bezieht sich auf die kommunistische Revolution im Jahre 1917) unsere Studienkommission in Deutschland nach Siedlungsmöglichkeiten ausschaute, da sagte man ihnen, daß Arbeiter und Kleinbauern auf dem Lande gewünscht würden (also auch in Deutschland war die Landflucht bemerkbar).
Auch Canada verlangte von uns bei unserer Einwanderung, daß wir Farmer würden. Wenn also diese Bewegung in die Stadt so allgemein wird, so steht kaum zu erwarten, daß Mennoniten davon verschont bleiben werden. Da steigt übrigens die Frage auf, ob das Bild sich nicht auch einmal wenden könne: wenn die Stadt übervoll und das Land leer wird, dann kehren die Leute vielleicht wieder aufs Land zurück – nicht wahr? Auf solche Weise könnte das Gleichgewicht zwischen Stadt und Land automatisch reguliert werden. (Wir lesen diesen Text nun 80 Jahre später und stellen fest, daß Städte nie "übervoll" werden, sondern ihre Anziehungskraft ständig vergrössert haben.)
Andererseits ist zu beachten, daß mit der Vervollkommnung der Verkehrsmittel der Unterschied zwischen Stadt und Land sich verwischt: die Stadt wird Land, und das Land wird Stadt; sie werden wenigstens einander nähergerückt. Und weil die Stadt heute so leicht zu erreichen ist, und weil viele Bequemlichkeiten der Stadt auf dem Lande auch zu haben sind, so verlassen viele das Getümmel der Stadt und ziehen sich in die Landeinsamkeit zurück. Das heißt, wenn es solche jetzt noch gibt: denn heute werden selbst weltenentlegene Ortschaften durch den regen Verkehr mit in den Strom der Welt hineingezogen. Also, ob mitten im Gewühl der Stadt oder draußen in ländlicher Zurückgezogenheit, so sind wir doch überall in der Stadt. Es gibt kein Entrinnen mehr von ihr. In verschiedenen Ländern lebt die Bevölkerung fast nur noch in Städten, und die Landleute sind nur ein verschwindend kleiner Teil der Gesamtbevölkerung der Nation (so in Belgien usw.).
Uebrigens, die Erde ist überall des Herrn, auch in der Stadt. Und in der Bibel steht doch wohl nirgends geschrieben, daß die Leute nur auf dem Lande leben und Bauern sein müssten. Und die ersten Christengemeinden waren doch wohl große Stadtgemeinden: Jerusalem, Antiochien, Korinth, Thessalonich, Athen, Rom usw. Und haben Mennoniten keine Aufgaben in der Stadt? etwa von Missionswegen? Es ist allerdings recht bequem, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, um den Versuchungen der Stadt auszuweichen. Aber Jesus sandte seine Jünger in alle Welt hinaus und gerade dahin, wo es am dichtesten war. Und wenn Paulus (und andere mit ihm) nicht die Welt da gepackt hätten, wo ihr Leben am heißesten pulsierte, wie hätte das Christentum entstehen sollen? (Der Schreiber dieses Textes, Schellenberg, versucht gute Gründe zu finden, damit Mennoniten sich mit dem Stadtleben abfinden.)
Und Mennoniten eignen sich vielleicht ganz besonders für die Mission: Mission sollte wenigstens eine ihrer ersten Aufgaben sein; auch scheint mir, der Missionssinn vertieft sich unter uns und regt sich mehr denn je (obgleich das vielleicht überall in der Welt der Fall ist). Mennoniten freuen sich, daß sie selig sind, aber gerettet sein gibt Rettersinn – und in der Stadt gibt's viel Elend. In Rußland durften wir nicht missionieren, hier aber haben wir offene Türen. Haben wir nicht die Pflicht nachzuholen, was dort versäumt werden musste? Schon der Umstand, daß Mennoniten in alle Welt zerstreut sind, weist auf die Missionsarbeit hin. Mennoniten haben schon viel in dieser Hinsicht getan, wir wollen das dankbar anerkennen. Jedoch in diesen Tagen hatte ich Gelegenheit zu lesen, auf wie vielerlei Weise die Welt Einflüsse anwendet, um Erfolg im Business zu haben. Die Welt ist klug in ihrem Geschäft. Da fühlte ich, daß bei Mennoniten auch noch viel Raum für verstärkte Missionstätigkeit geblieben ist.
Und das führt uns wieder in die Stadt. Jedoch, es tut nicht bloß einige Missionare hinzuschiffen. Ganze Gruppen, ganze Gemeinden müssten hinausgehen. Denn Mission ist nicht nur ein bisschen Predigen, sondern vielseitige, praktische Hilfe.
Ist die Stadt schlechter als das Land? Wir kamen einmal in der Klasse darauf zu sprechen, und viele Fragen wurden laut. Der Professor schien zu der Ansicht zu neigen, es sei nicht durchaus erwiesen, daß die Stadt schlechter sei. Beide, Stadt und Land, haben ihre Nachteile. Es wäre manches dazu zu sagen, doch das würde uns zu weit führen.
Wozu ziehen die Leute in die Stadt? Einmal ist es doch wohl, weil man nicht im Schweiße des Angesichts sein Brot verdienen will. Bei anderen ist es doch wohl der Wunsch, allerlei lästigen Verpflichtungen, die das Landleben mit sich bringt, zu entgehen, und um das Leben in volleren Zügen zu genießen. In der Stadt verliert man sich leichter in der Menge und verschwindet. Das sind so einige Nachteile, und es gibt gewiss auch noch andere. Anfangs machte es sich so, daß manche in die Stadt zogen, um nach Verdienstmöglichkeiten auszuschauen. Oder es ist das Suchen nach gutem Verdienst oder angemessener Beschäftigung, nach allerlei Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des städtischen Lebens (welche sie im Klub, im Theater, im Museum usw. zu finden hoffen), nach guter Pflege in Krankheitsfällen usw. Junge Leute gehen in die Stadt, zum Teil um sich eine gute Bildung zu erwerben: wir wollen gerne unsere mennonitischen Lehrer, Kaufleute, Rechtsanwälte, Ärzte haben, und die müssen von der Stadt kommen. Und eigene Schulen und Hospitäler brauchen wir, und dazu kommt manches aus der Stadt. Dazu ein reiches Geschäftsleben, welches uns in nahe Verbindung mit der Stadt bringt.
Erinnert muss auch noch daran werden, daß die Mennoniten ein begabtes, strebsames Volk sind. Und ihre Begabung liegt nicht nur nach der Landwirtschaft hin; welches Heer von Möglichkeiten zur Betätigung auch in anderen Zweigen des Wirtschaftslebens. Canada ist das Land unbegrenzter Möglichkeiten. Mennoniten wollen ein volles, vielseitiges, reiches Leben leben. Sie haben auf manchen Gebieten Vorzügliches geleistet und sich einen Namen gemacht, nicht bloß in dem Ackerbau.
Es ist da also manches Pro und Contra (Für und Wider) inbezug auf die Stadt. Wenn der eine nicht in die Stadt gehen sollte, so tut es für den anderen vielleicht gerade gut dahin zu gehen. Dem einen gilt: „Bleibe auf dem Lande und nähre dich redlich!“ Dem andern: „Gehe von deiner Freundschaft in die Stadt und daselbst will ich dich zum Segen setzen für andere“. Es ist da vielleicht schwer, eine Entscheidung zu treffen. Die Russlandmennoniten sind rechte Kinder der Steppe, und das Misstrauen wider die Stadt liegt uns im Blute. In Holland haben viele in den Städten gelebt – dagegen ist da ein zahlenmäßiger Rückgang zu verzeichnen. – Lasst uns nicht vorgreifen, und mögen die Dinge ihren ungestörten Entwicklungsgang haben. Bleiben wir vorläufig, wo wir sind, auf dem Lande. Wenn aber die Verpflanzung in die Stadt einsetzen sollte, werden wir dann diesem Prozesse mehren wollen? Das Landleben ist gewiss reich; aber wem es zu enge ist, der suche sich einen weiteren Gesichtskreis. Wer in der Stadt im Schmutz zu wühlen gedenkt, der bleibe ihr fern, wer aber in der Stadt eine freie Entfaltung seines Geistes erwartet und findet, der gehe dahin. Wenn wir in die Stadt gehen, möchten wir uns dort solchen Berufen zuwenden, die uns und anderen zur Seligkeit dienen.
P. M. Friesen warnt, wenn Mennoniten eine Gemeinde Gottes und anderen zum Segen sein wollen, dann dürfen sie nicht rückständig sein; auch sollen sie sich ja um eine gute Bildung bestreben. Natürlich soll das alles unter göttliche Gesichtspunkte gestellt werden, so daß wir am ersten nach dem Reiche Gottes trachten.
B. Schellenberg.
In einer weiteren Ausgabe von der Mennonitischen Rundschau geht Schellenberg noch einmal auf diese Frage ein.
Eine brennende Frage Von Dr. E. Krahn (Rundschau Nr. 37).
Dr. Krahn spricht von der Notwendigkeit großer geschlossener Siedlungen für die Mennoniten. Er meint jedenfalls solche nach dem Muster der russländischen Mennonitenkolonien.
Aber das war in Rußland anders. Dort wünschten wir sie, wir wollten separat wohnen und uns nicht mit der umgebenden Bevölkerung vermischen (Nun in den USA und Kanada scheint sich das geändert zu haben. Die Jugend WILL nicht mehr von der gesamten Bevölkerung separat wohnen). Der (russischen) Regierung war das ganz recht, sie sah es nicht gerne, wenn die Russen den Deutschen zu nahe kamen; sie fürchtete, wir könnten sie demokratisch, religiös und politisch beeinflussen und etwa Deutsche, Mennoniten und Neuchristen aus ihnen machen (lieber wäre ihr freilich gewesen, wenn wir alle Russen geworden wären). Als Katharina die Zweite die Mennoniten nach Süd-Rußland berief, so war es einmal das Verlangen, den Süden zu besiedeln und zu kultivieren. Andererseits war es ein Experiment, welches von einigen findigen Köpfen aus Regierungskreisen vorgeschlagen wurde. Man wollte einmal sehen, was mit einer Freisiedlung, mit freien Bauern und mit einer freien wirtschaftlichen Entwicklung erreicht werden könne. Nicht als Musterwirte für die Russen wurden die Mennoniten berufen, wie immer behauptet worden ist, denn die leibeigenen russischen Bauern hatten keine Verwendung für die deutsche Musterwirtschaft (Cornies hat sich aber darum sehr bemüht, dass Mennoniten tatsächlich als Musterwirte auftreten sollten). Das Experiment gelang vortrefflich, wie wir alle wissen, und von da an sahen die Russen unsere Rolle, unsere Aufgabe für Rußland als erledigt an; und sie änderten demgemäß ihr Verhalten zu den Mennoniten: wir wurden vielen von ihnen lästig. – Also, die russ. Regierung und die Mennoniten befürchteten große geschlossene Siedlungen, und jedenfalls war das so Gottes Wille. Wir haben in der dortigen Abgeschlossenheit eine bedeutsame Entwicklung gehabt.
Canada braucht keine Experimente mit Freisiedlungen; es sieht unseren Separatismus nicht gerne und wünscht nur, wir sollen uns assimilieren. Wir möchten uns bedingungslos und ganz ohne Vorbehalt in die canadische Nation einfügen lassen. Und die Mennoniten selbst? Auf geschlossenen Siedlungen splittern wir wieder unsere Kraft in Parteihader und treiben Kleinstaaterei und Kirchturmspolitik. Auch würden wir uns schwer halten lassen auf solchen Siedlungen. In Rußland hatten wir uns trotz Abgeschlossenheit fast über das ganze Land ausgebreitet, von Odessa bis Petersburg, Moskau, Taschkent und Wladiwostok. Wieviel mehr muss das in dem weiten Amerika der Fall sein, wo uns überall offene Türen winken, und die weite Ferne verheißungsvoll lockt? Das Freiheitsbedürfnis unter Mennoniten ist stark; und unsere Jugend ist tatendurstig und liest viel, und die Autos und die Bahn rollen so leicht und ehe man sich's versieht, ist man weit weg über alle Berge.
In der ersten Zeit nach unserer Immigration wollten alle in Dörfern ansiedeln, sehr bald aber entschloss man sich für die Farmen, und heute sind wir bereits über ganz Canada zerstreut. In Canada ist eben alles wie auf Rädern. Schon über das ganze Land zerstreut? Na. Auch bestehende große Gemeindekörper lösen sich auf und splittern sich in kleinen Gruppen. Und merkwürdig, je mehr man sich zerstückelt, desto weniger werden die Reibungsflächen, desto mehr wohnt man friedlich nebeneinander, desto mehr sind Brüder verbunden durch das Band der Liebe. Es scheint – getrennt leben wir versöhnlicher und brüderlicher, weil die persönliche individuelle Freiheit weniger eingeengt wird (In der Meinung dieses Schreibers ist es so: Wenn Mennoniten zu nahe nebeneinander wohnen, gibt es zu viel Streit).
Geschlossene Siedlungen bedingen Zentralisation. Die Staaten, unser Nachbarland, sehen ihre Stärke in der Zerstreuung u. befleissigen sich der Dezentralisation. Sie sind ein ausgedehntes Land, und die geographischen, politischen und völkischen und sozialen Verhältnisse sind äußerst verschieden in den verschiedenen Winkeln des ausgedehnten Reiches. Und indem jeder Staat nach eigenem Ermessen seine Gesetze macht und so sein Leben regelt, und indem gerade dadurch der ganzen Bevölkerung des Landes die größte Freiheit gewährleistet wird, so fühlt man sich dort dank dieser Freiheit eng verbunden trotz Zerstreuung und Ausdehnung. Ein anderes Beispiel – Das britische Reich. Indem dieses den Dominionen und auch anderen Teilen die größten Freiheiten zugesichert hat, sehen diese Teile sich nur treuer an das Mutterland gefesselt in Dankbarkeit und Liebe (Kanada gehörte damals noch zu Grossbritanien). Das ist etwas von der Demokratie, von welcher die Angelsachsen so viel Redens machen. Und ein Deutscher hat einmal gesagt, daß in keinem anderen Lande die christlichen Forderungen der Bibel so gut realisiert würden wie in den angelsächsischen Ländern.
Große Siedlungen haben einen schwerfälligen Mechanismus und sind oft unbeholfen (Da würde ich heute gerne die Meinung von einem . Kleine Gruppen sind beweglicher und leichter zu handhaben, da muss aber der rechte Kitt gefunden werden, der sie zusammenhält. – Es ist jedoch nicht zu verhehlen, daß manche Siedlungen vielversprechend ausschauen; und es ist überhaupt schwer, über die Sache abschließend zu urteilen. Auch muss meine Inkompetenz, darüber zu urteilen, bei all dem Gesagten in Rechnung gezogen werden, da ich ja kein Farmer bin. Aber es lag mir an, einmal verschiedene Seiten des Problems zu beleuchten. Und andere mögen auch ihre Meinungen sagen.
Und damit bin ich noch auf einen Gedanken gekommen. Mennoniten sind von wegen des Krieges etwas still geworden und schweigen sich über manche Fragen ihres Lebens in allen Tonarten aus. Das ist nicht recht, und keiner verlangt das von uns. Wir haben unsere Probleme, und die müssen besprochen werden. Früher geschah das auch, heute aber ist diese Arbeit schlafen gegangen, und unsere Blätter dienen fast nur der Erbauung und Unterhaltung. Wir brauchen das auch – gewiss; aber eine sehr wesentliche Aufgabe ist, Fragen des Gemeindelebens zu ventilieren. Tun wir das mit Takt und Freimütigkeit! Und je offenherziger wir dabei sind, desto mehr werden wir uns unserer neuen Heimat empfehlen.
B. Schellenberg.
Mennonitische Rundschau vom 11. November 1942
"Die Russlandmennoniten sind rechte Kinder der Steppe, und das Misstrauen wider die Stadt liegt uns im Blute."
Betrifft das auch uns brasilianische Mennoniten? Darauf gehe ich in der nächsten Ausgabe ein. Ich habe eine Reihe Texte in Bibel und Pflug gefunden, die sich mit dieser Frage befassen. Denken die brasilianischen Mennoniten auch so? Haben auch sie Angst, in die Nähe der Stadt zu ziehen? Wie sieht es heute aus? Wie steht es mit Gemeinden mennonitischer Herkunft, die sich in Curitiba befinden?