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Der "Stundismus"
Eine evangelische (rein russische) Erweckung
zur Zeit der Mennoniten in Russland
Teil II
Es war dem russisch Orthodoxen fremd, die Bibel in die Hand zu nehmen und daraus selbst den Willen Gottes für sein Leben zu erkunden. Der gläubige Russe wusste vom Gott nur soviel wie der Priester ihm mitteilte. Er kannte keine Selbstverantwortung in der Verwaltung des eigenen Glaubenslebens.
Das änderte sich, als er zu den Bibel(Stunden) der Deutschen eingeladen wurde. Als er diese Art dann in seinem russischen Dorf einführte, fand er dafür keinen Namen in der russischen Sprache. Darum übernahm er den deutschen Namen und diese russischen Gläubigen wurden nun "Stundisten" genannt.
In der vorigen Ausgabe erfuhren wir, wie sich das Leben dieser Russen verwandelte, als sie sich bekehrten: Säufer verließen ihr Laster, Schuldige bezahlten ab dann ihre Steuern, Eltern erzogen ihre Kinder, ihre Dörfer zeichneten sich jetzt durch Reinheit und Ordnung. Und sie legten ein Zeugnis dar, dass andere zu Beginn erst verärgerte, dann überzeugte und auch zum Glauben führte.
Diese Bewegung entstand nicht nur unter einfachen Bauern im Kontakt mit deutschen Gläubigen auf dem Land, es wurde auch in den Städten gefördert durch das Zeugnis englischer Besucher unter den russischen Adligen (Paschkow).
Es folgt nun der Abschluss des Berichtes aus der Mennonitischen Rundschau (04.07.1883), anschließend erläutere ich, welche Beziehungen es gab zwischen Stundisten und Mennoniten:
Nach dem Vortrage Paschkow's steht es jedermann frei, laut ein Gebet zu verrichten. Und es erreignet sich da nicht selten, daß einfache Droschkenkutscher oder Tagelöhner sich zur Erde werfen und in der einfachen Sprache des Volkes ihr Inneres vor Gott aufdecken in solcher Weise, daß lautes Schluchzen durch die Reihen der Vornehmen wie die Scharen der Arbeiter sich verbreitet. In solchen Augenblicken tritt die einfache, warme und gefühlswahre Natur der Russen in erregender Weise zu Tage. Da steht dieser kraftvolle Mann mit dem langen grauen Bart und Haar, dem tiefgefurchten und gutmütigen Gesicht, im kurzen schmutzigen Schafpelz und hohen plumpen Stiefeln, die Schaffellmütze zwischen den gefalteten Händen, mit heiligem Ernst die Augen auf den Mund Paschkow's geheftet. Und plötzlich wirft er sich zu Boden und es entströmen ihm laut die tiefsten, lautersten Töne der Seele, unmittelbar und wahrhaft, unbefleckt von aller Rücksicht auf seinen Stand und seine Umgebung, ungetrübt durch kritische Schalke, und doch verständig und menschlich in jedem Wort, eine gewaltige Beichte der menschlichen Natur und ein lebendiges Zeugniß ihrer tiefinnern Sehnsucht nach dem Göttlichen.
Und unwillkürlich gedenkt man jener andern Bewegung, welche behauptet, alle Regung des Gefühls abgeworfen zu haben und mit den Waffen der reinen Vernunft alles Bestehende als einen Irrthum bekämpfen zu müssen. Wie elend und klein erscheint der Nihilist mit seiner vermeintlichen Vernunft gegenüber jenem einfachen Zeugen der alten Wahrheit, daß Glaube und Empfinden die Grundkräfte des Menschen sind! Vornehmlich bei diesem russischen Stamm mit seiner reichen Empfindung.
Solche Erlebnisse erklären dem Fremden den Stolz, mit dem die nationalen russischen Führer auf die urwüchsige Kraft ihres Volkes blicken, die Kraft der reinen und vollen Begeisterung. Und solche Augenblicke sind es, die über das Gemüth des Menschen fast unausbleiblich Gewalt haben und immer und immer wieder die Kreise dieser Neubekehrten erweitern. Die Wirkung solcher Bekehrung ist nun hier die nämliche wie bei dem Stundismus.
Man weiß in den Palästen, den Fabriken, den Handelshäusern Petersburgs heute sehr wohl den Werth der Paschkowschen Jüngerschaft an dem Hausknecht, dem Arbeiter, dem Lehrling zu schätzen. Man weiß, daß wer des Sonntags zu Paschkow geht, weder zu stehlen, noch zu faulenzen noch zu trinken pflegt. Die jähe Wandlung aus dem versoffenen Taugenichts in den treuen und ordentlichen Mann ist hier eine eben so bekannte Erscheinung als in den südlichen Gubernien, und der Mann von Bildung, einmal von der evangelischen Lehre erfaßt, ist wahrlich der letzte, der die Sorgen der Regierung vermehren könnte.
Dennoch hat die Regierung, von der Kirche gedrängt, auch hier ein paar Mal gesucht, hindernd in den Weg zu treten. Paschkow ist einmal für einige Zeit von Petersburg verbannt gewesen, seine Versammlungen sind unter eine leichte Aufsicht gestellt worden. Im Ganzen hat die Regierung aber bisher weder gegen die Gemeinde Paschkow's noch gegen die Stundisten ernstliche Maßregeln ergriffen. Die Kirche hat versucht, mit ähnlichen Waffen gegen Paschkow aufzutreten und gegen die Stundisten: es sind Vorträge öffentlich gehalten worden von Dienern der Kirche. Aber sie hatten keinen Erfolg und gingen bald wieder ein. Daß den Anhängern der Staatskirche diese Protestanten ein Aergerniß sind, ist natürlich. Denn sie lösen sich thatsächlich, wenn auch nicht rechtlich, von der Kirche ab.
Stundisten wie Anhänger Paschkow's hören auf, die russische Kirche zu besuchen. Sie sagen sich in aller Stille los vom Priesterthum und Sacrament, und nur das Gesetz, welches den Austritt verbietet und mit schweren Strafen bedroht, verhindert den offenen Bruch. Es ist möglich, daß gelegentlich von der Kirche noch Versuche werden unternommen werden, um den Staat zur Unterdrückung der Bewegung zu gewinnen. Denn schon tönen die evangelisch-protestantischen Laute auch vom Ural herüber, wohin die neue Lehre in die Dörfer halbwilder Finnen durch irgend einen Verbannten oder einen Arbeiter mag verweht worden sein, der ein russisches neues Testament mitbrachte.
In Rußland machen sich evangelische Strömungen in der Staatskirche bemerklich, die sich trotz alles Widerstandes Bahn zu brechen scheinen. Eine dieser Strömungen geht von Deutschen aus und ist deshalb für uns besonders nennenswerth. Wir meinen die „Stundisten“ in den Steppendörfern des südlichen Rußland. In einem deutschen KoIonistendorfe Rohrbach, 45 Meilen von Odessa, wirkten in der dortigen reformirten Gemeinde fast ein Vierteljahrhundert mit reichem Segen „Vater Bonekemper‘, ein Sendling des Baseler Missionshauses, und seit 1867 sein Sohn Johann Bonekemper. Sie fanden unter den im J. 1809 aus der Pfalz und Württemberg eingewanderten Kolonisten den altwürttembergischen Brauch des „Stundenhaltens” und pflegten ihn.
Jahrzehnte hindurch war die reformirte Gemeinde fast ohne Geistige Berührung mit dem Volke geblieben, in dessen Lande sie eine gastliche Aufnahme gefunden hatte. Dies wurde anders durch einen schlichten, frommen russischen Bauer aus dem Gouvernement Kiew, welcher vor 14 Jahren als Tagelöhner nach Rohrbach gekommen war und mit steigender Theilnahme den Hausandachten im Pastorat und den Versammlungen der Stundenhalter beiwohnte. Er lernte lesen, versenkte sich immer tiefer in den ihm so neuen und wunderbaren Inhalt des Bibelbuches und bekam die ganze heiligende Wirkung des göttlichen Inhalts an seiner Seele zu spüren. Mit seiner Bibel kehrte er nach Monaten in sein Heimathsdorf zurück, sammelte hier in den Winterabenden die Bauern um sich in seiner Hütte und las den Leuten vor.
Das Samenkorn fiel auf einen empfänglichen Boten. Nicht auf das Dorf allein beschränkte sich die von der Bauernhütte ausgehende Bewegung, auch in die umliegenden Ortschaften und angrenzenden Gouvernements bis nach Wolhynien hin ist sie bereits gedrungen. Die „Stundisten“ zählen zu vielen Tausenden, und noch ist keine Abnahme der Bewegung zu spüren. Sie nehmen Keinen ohne ein abgelegtes Glaubensbekenntniß in ihre Gemeinschaft auf; das freie Gebet nimmt in ihren Versammlungen eine hervorragende Stelle ein, und streng halten sie unter einander auf sittliche Lebenszucht. Die russische Kirche hat, anstatt sich der Bewegung anzunehmen und sie in kirchliche Bahnen zu leiten, meist das Gegentheil gethan. Aber gerade, wo die Geistlichkeit am schroffsten, auch unter Anwendung obrigkeitlicher Maßregeln, ihr entgegentrat, ist sie am mächtigsten gewachsen.
In dem Buch "Die Geschichte der Mennoniten Bruder Gemeinde" erzählt A H Unruh eine Begebenheit, wie der berühmte Schreiber der Mennonitengeschichte P.M. Friesen, die Stundisten in Schutz nahm:
Br. P. M. Friesen unterwand sich, als Prediger unserer Konferenz die Stundisten zu verteidigen. Er fand in der Zeitung, daß alle Stundisten samt ihren Familien verbannt werden sollten. Da schrieb er einen Brief an den Prokurator der heiligen Synode: die Stundisten seien die treusten Untertanen im russischen Reiche, und der Prokurator der heiligen Synode würde doch nicht im 20. Jahrhundert eine Christenverfolgung anstellen.
Als er den Brief abgeschickt hatte, sagte er zu seiner Frau: "Packe die Koffer, denn wir werden in Kürze verhaftet und in die Verbannung geschickt werden." Dann wurden sie auch bald gewahr, daß sie von zwei Geheimpolizisten Tag und Nacht bewacht wurden. Nach 6 Monaten erhielt er einen Brief aus Petersburg und eine Visitenkarte vom Prokurator Pebedonossow, auf der das Schriftwort aus Apg. 10, 34-35 stand: "Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansieht; sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm."
Und die Stundisten waren gerettet. An dem Tage, als er den Brief erhielt, waren auch die 2 Polizisten verschwunden. Mit welchem Erfolg krönte Gott das Bemühen unseres lieben Br. Friesen. Sein Beten und Flehen wurde durch seine völlige Hingabe erhört. Er dachte nicht an sich selbst, sondern trat stets für andere ein.
C. Martens erzählt folgendes Ereignis in seinem Buch aus dem Jahre 1929 "Unter dem Kreuz - Erinnerungen aus dem alten und neuen Russland":
Das Gesetz lautete; „Wenn ein Andersgläubiger in der rechtgläubigen Kirche Propaganda treibt und auf diese Weise ihre Mitglieder abtrünnig macht, soll er mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden." Also war ein Verhör für mich immer sehr gefährlich. Der Kreisvorsteher erschien ebenfalls, und die Auseinandersetzung begann. Eine Frau wurde gefragt: „Wie kam es, daß Sie zu den Stundisten übergingen? Was war die Ursache dazu?” Sie sagte: „Durch Martens bin ich zum Herrn gewiesen worden und brauche nun nicht mehr in Sünden zu leben. Durch sein Zeugnis von der Erlösung ist mein Mann vom Trünke losgekommen, und ich habe nun einen ehrlichen, sittlichen Mann. Wir freuen uns nun in dem Herrn.” Der Geistliche fragte weiter: „Wo und wann geschah das?” Die Schwester, nichts ahnend von dem Gesetz, erzählte, wie ich ins Haus gekommen sei. Alles wurde protokolliert.
Ein anderer Mann sagte:„Durch Martens bin auch ich in die Nachfolge Jesu gekommen und dadurch von einem lasterhaften, unsittlichen Leben, von Trunksucht und Diebstahl frei geworden.” „Wo geschah das?” fragte der Geistliche.„Das war an einem Sonntag vormittag, als ich betrunken aus der Kirche kam. Herr Martens hielt mich an, sprach mit mir und riet mir, das Evangelium zu lesen und zu beten. Das Wort fiel in mein Herz, ich lud ihn ein. Da erzählte er mir vom Weg des Lebens. Ich bekannte meine Sünden, wir beteten miteinander, und Gott gab Gnade und vergab sie mir. Und nun bin ich ein froher Mensch und rate auch Ihnen, Batjuschka, und Ihnen, Herr Pristaw, daß Sie sich zum Herrn wenden.”
Wir fuhren auf unseren Wagen in Begleitung der Reiter zum Polizeibeamten ins nächste Dorf, und etwa fünfzig Russen, die die Versammlung besucht hatten, wurden zu Fuß hingetrieben. Als wir den Hof des Polizeivorstehers erreicht hatten, baten die Kosaken den Oberst, er möchte ihnen erlauben, jeden einzelnen mit 25 Schlägen mit der Nogajka zu bestrafen, und er willigte ein, und wohl fünfzig Personen, die mitgetrieben waren, Frauen und Männer, bekamen der Reihe nach 25 Schläge. Sie schrien fürchterlich und wanden sich vor Schmerzen, nur ein junger Mann, der sich bekehrt hatte, biß die Zähne zusammen.
Das ärgerte den Oberst so, daß er befahl, ihm noch einmal 25 Schläge zu geben. Unter großen Schmerzen riß er sich los und wollte entfliehen. Da befahl der Oberst, ihn zu erschießen. Nun sprang ich hinzu und rief: „Dazu habt Ihr kein Recht. Hört auf mit Schlagen, sonst wird es Euch nicht gut gehen!"
Aber wütend befahl der Oberst, dem Mann noch 25 Schläge zu geben, und man trug ihn wie tot hinweg. Er kam jedoch bald wieder zum Bewußtsein. Die Umstehenden waren empört und flüsterten untereinander: „Bis dahin wußten wir nicht, was Stundisten sind, aber jetzt werden wir auch solche werden”.
Für uns war die Sache äußerst peinlich. Wiederum ging ich zum Oberst und sagte ihm, er sollte aufhören mit Schlagen, der Schuldige sei ich, denn ich habe die Versammlung anberaumt. Da antwortete er: „Mit dir werden wir auch noch abrechnen!"
Er streckte die Hand aus, aber schießen konnte er nicht. Zweimal, dreimal versuchte er es. Ob es ein Krampf in der Hand war, ich weiß es nicht. Aber eines wußte ich: Gott kann auch aus Feindeshand erretten.
Ein Genosse zog den wütenden Gehilfen endlich zurück und sagte: „Weißt du denn nicht, wer der Mann ist? Er ist doch ein Stundist”, und zu mir gewandt schrie er: „Hinaus mit dir!” Ich wurde wieder in den Keller gebracht.
In unserem Gefängnis war eine sehr gedrückte Stimmung. Jeden Tag wurden einige abgeführt, und niemand wußte, wann die Reihe an ihn kam. Einige gingen aufgeregt hin und her, andere saßen still und teilnahmlos am Boden zusammengekauert, manche versuchten sich durch allerlei Zeitvertreib über die schwere Lage hinwegzusetzen. Frauen und Männer knieten in den Ecken, bekreuzten sich und riefen die Mutter Gottes und die Heiligen um Rettung an. Ihre tränenbenetzten Gesichter anzusehen und ihr fortwährendes „Gott, erbarme dich" anzuhören, war erschütternd. Manche am Rande der Verzweiflung stehende Seele durfte ich auf den wahren Retter aus Todesfurcht hinweisen.
Mein Kosake brachte mich noch fünfzehn Kilometer weiter ins Dorf P wohin seinerzeit die ersten Stundisten verbannt worden waren. Noch lebte eine kleine Anzahl dieser alten Vorkämpfer des Glaubens, und sie waren sehr überrascht und erfreut über meinen Besuch.
Hier verlebte ich ebenfalls gesegnete Tage in Gemeinschaft und Zusammenarbeit mit den lieben Brüdern. Von P. fuhr ich mit einem anderen Bruder mit der Bahn weiter. Das Reisen auf der Eisenbahn war in der damaligen Zeit mit großen Schwierigkeiten verbunden und sehr gefährlich, denn Plätze in den Wagen erhielten nur Parteigenossen, und die Züge waren überfüllt. Wenn man einen freien Puffer zwischen den Wagen oder einen Dachplatz fand, konnte man von Glück sagen. Oft mußten Verbindungsketten genügen, oder die Menschen klammerten sich an die Rahmen und legten in dieser unbequemen Stellung weite Strecken zurück. Viele fanden auf solchen Reisen den Tod.
Ein Bruder hielt die einleitende Rede, und ich machte Fortsetzung. Während meiner Predigt stand ein Mann ungeduldig am Fenster, er konnte es kaum erwarten, bis die Versammlung zu Ende war, um etwas zu sagen. Es war ein Kommunist, und er flüsterte seinen Nachbarn zu: „Wenn ich dem Redner drei Fragen vorlegen werde, wird er mir nicht auf eine antworten können”.
Einige, die neben ihm standen, sagten: „Traue dir das nicht zu, er wird dir alle deine Fragen beantworten und du wirst bestimmt Stundist. Wenn du es nicht werden willst, dann gehe diesem Manne aus dem Wege”. Das versetzte ihn in Schrecken, er wurde unsicher, denn er dachte, man könnte recht haben, und schwieg.
Auch die Töchter des Geistlichen waren erschienen. Sehr ergriffen gingen sie nach Hause und erzählten ihrem Vater, was sie gehört hatten. Er war natürlich sehr ungehalten und versuchte mit aller Macht, uns im Ort zu verleumden und unsere Tätigkeit zu verhindern. Am nächsten Tage hielt er gleich einen Protestgottesdienst und erklärte in der Kirche, der wirkliche Antichrist sei in die Stadt gekommen. Seine Töchter standen aber auf und sagten: „Unser Vater ist im Irrtum! Er spricht so, weil er die Worte des Predigers nicht gehört hat.”
Ein weiterer Text aus der Mennonitischen Rundschau (1943-07-28) gibt diese Erklärung über den Stundismus:
Neben den deutschen Einflüssen sind auch andere zu bemerken.
Da ist zu nennen der Schottländer Melville, der 60 Jahre seines Lebens der Evangelisation in Russland gewidmet hat. Er wirkte unter Alexander I., Nikolaus I., Alexander II. und Alexander III. Mit seltsamen Eifer und großer Treue hat er den Russen das Evangelium gepredigt, und zwar 30 Jahre lang.
Der Engländer Radstock, der nach dem Krimkriege nach Russland kam, lehrte besonders in Petersburg, und es entstand hier eine mächtige Bewegung, und manche vom Adel wurden zu Christo bekehrt. Unter diesen ist besonders zu erwähnen der Gardeoffizier Paschkow, der nach jener Bekehrung sofort den Ballsaal in seinem Palaste den Versammlungen zur Verfügung stellte. Er widmete seine Kraft und sein Vermögen besonders der Verbreitung der Bibel und der Mission unter Armen und Kranken. Er stieg gerne zu dem einfachen Volke herab, um auch unter diesen das Evangelium zu verbreiten. Sein Einfluss reichte bis an den kaiserlichen Hof; mehrere Minister führten Hausandachten ein; und einfachste Leute aus dem Volke saßen neben hohen Würdenträgern des Landes.
Vieles erinnerte an urchristliche Verhältnisse. Andere, aufgemuntert durch sein Vorgehen, folgten seinem Beispiel. Beunruhigt durch die Tätigkeit, die Paschkow entwickelte, ging die Regierung gegen ihn vor: die Versammlungen wurden verboten, man trieb ihn aus Petersburg und verwies ihn endlich sogar des Landes. Er ging dann nach England, wo er auch starb. Sehr eifrig für die Evangelisation wirkte auch Dr. Baedeker, der 1906, 83 Jahre alt, starb. Einmal, als Paschkow noch in der Hauptstadt lebte, hatte er wieder, wie gewöhnlich, Versammlungen anberaumt, zu welchen Delegaten verschiedener Gegenden des Reiches gekommen waren. Die Versammlungen wurden in großem Segen gehalten. Eines Morgens warten Paschkow und Baedeker vergebens auf Besucher: niemand kommt. Man ist beunruhigt und weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Nach einigen Tagen klärte sich die Sache auf: die Gäste waren wie gewöhnlich zur Andacht geeilt, aber die Polizei hatte ihnen aufgelauert und sie abgefangen. Man hatte sie sorgfältig verhört und dann unverzüglich nach Hause geschickt.
Auch die Baptisten haben in einem gewissen Grade die Bewegung beeinflusst. Im großen und ganzen aber gilt, wie weiter oben schon betont wurde, der Stundismus war eine russische Bewegung. Es ist die schlichte und einfältig gläubige Art, mit der der Russe seine Bibel liest und ohne Rücksicht auf die Folgen mit allem Ernst macht, was er als biblisch erkennt.