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Die Geschichte der mennonitischen Kolonie
Ak-Metschet
nach Alexander Rempel
Vor Zeiten erzählte ich hier die Geschichte der Auszugsgemeinde, jener Mennoniten die ihre Kolonien verließen, ins ferne Asien zogen, um die Wiederkunft Jesu zu erwarten und dem Militärdienst ihrer Söhne zu entgehen.
Sie zogen weit in islamische Gegenden hinein, gründeten Dörfer, durchstanden viele Schwierigkeiten, viele gaben dann alles auf und zogen zurück nach Chortitza, Molotschna und andere Herkunftsdörfer, manche gingen in die USA.
Einige aber blieben in Asien. In einigen Ausgaben von Bibel und Pflug aus dem Jahr 1961 wird die Geschichte der Kolonie Ak-Metschet erzählt. Warum dieser islamische Name? Wie haben sie es geschafft, dort zu überleben und mit der islamischen Umwelt auszukommen?
Und als dann der Kommunismus kam, haben sie Unglaubliches erlebt. Diese Geschichte reproduziere ich hier in zwei Ausgaben.
Ak-Metschet lag zwölf Kilometer westlich von Chiwa, einer Stadt und Oase in Usbekistan (damals Sowjetunion), hinter einer Sandwüste südlich vom Aral-See. Die Bewohner von Chiwa erzählen, dass ihre Stadt über 4000 Jahre alt sei.
Folgen wir nun dem Bericht von Alexander Rempel:
Ak-Metschet zählte etwa 150 Mennonitenfamilien. Durchweg waren es alles sehr liebenswürdige Leute. Es waren in jeder Hinsicht ganz genau dieselben Mennoniten wie im übrigen Russland: dasselbe Plattdeutsch, dieselben Sitten und Gebräuche, die Andachten an den Sonntagen waren außerordentlich erbaulich, in der Kirche sang ein gut eingeübter Chor, der etwa 45 Sänger zählte. Nur in einem Punkt unterschieden sie sich stark von den andern Mennoniten: nämlich in der Frage über die letzten Dinge, der biblischen Eschatologie.
Die Auswanderung dieser Gruppe von Europa nach Asien, die in Ak-Metschet endete, wurde von Klaas Epp geführt (Er sah sich als Prophet, als Seher zukünftiger Ereignisse. Durch seine Schriften hatte er Anhänger in vielen Kolonien gefunden, die ihm nun dorthin gefolgt waren), der zu Fürstenwerder in Westpreussen geboren war. Sein Vater führte denselben Namen und war damals Schulze in diesem Ort, aber einer der Ersten, die im Jahre 1853 aus Fürstenwerder an die Wolga zogen (Zur Erinnerung: die erste Gruppe Mennoniten war 1789 nach Russland gekommen - es waren die ärmeren Mennoniten, die am Rande der Gesellschaft in Polen gestanden hatten - , die Reicheren zogen später nach und gründeten 1804 Molotschna). Es war dieses eine der letzten Auswanderungen unserer Mennoniten aus Preussen nach Russland. Sie gründeten im Wolgagebiet im Gouvernement Samara als erstes Mennonitendorf Hahnsau. Die ganze Kolonie ist später auch "Trakt" genannt worden.
Klaas Epp jun., hatte die Absicht, seinem Vater in der leitenden Stellung zu folgen. Diese Absicht misslang aber. Nun fing er an, in Privatkreisen auf religiöser Grundlage zu wirken. Mit Vorliebe wandte er sich den eschatalogischen Stellen in der Bibel zu. Er wies auf das nahende Weltende und auf die Wiederkunft Christi hin. Klaas Epp jun. glaubte zu wissen, dass es die Mennoniten seien, denen Gott eine "offene" Tür verheißen habe (Offenb. 3,8-10), um für die fliehenden Gläubigen der übrigen Christenheit einen Bergungsort vorzubereiten (Offenb. 12,14) (Sie sahen sich als solche, die vorauszogen, um einen Bergungsort, eine Zuflucht für die wahren Gläubigen zu gründen, wenn nun bald die Verfolgungen der Endzeit beginnen würden).
In seinen Schriften und Lehren verarbeitete Klaas Epp Gedanken von Jung-Stilling (ein deutscher Schriftsteller, 1740-1817). Epps chiliastische (Chiliasmus = Lehre vom tausendjährigen Reich, Offenb. 20, ff.), Ausführungen zeigten einwandfrei nach Osten. Dort, behauptete er, sei der letzte Bergungsort zu finden. Auch den ganz genau errechneten Tag der Wiederkunft Christi gab er an. Dieser fiel in das Jahr 1889. Kein Wunder, dass Epp in den verschiedenen Mennonitengemeinden Russlands begeisterte Anhänger fand.
Es wurde eine "Auszugsgemeinde" gegründet. Der Auszug nach Osten erfolgte in drei Karawanen in den Jahren 1880-1881. Es ging per Achse (besonders für diese Reise gebaute Wagen, etwas länger, mit Dach, gezogen von 3 Pferden) mit Hab und Gut in den Morgen hinein. Der erste Zug setzte sich am 3. Juli 1880 von Hahnsau in Bewegung. Es waren zehn Familien, die auf achtzehn Wagen mit vierzig Pferden bespannt mit Klaas Epp an der Spitze gen Osten zogen.
Ihr Weg führte durch die öde Kirgisensteppe, ungefähr dieselbe Linie entlang, auf der später die Eisenbahn von Moskau über Orenburg bis Taschkent forgesetzt wurde. Die Reise dauerte mehr als drei Monate. Die kühnen Auswanderer schreckten vor nichts zurück: weder die beschwerliche Fahrt noch die heimtückischen Krankheiten, von denen viele von ihnen befahlen wurden, machten sie mutlos.
Am 18. Oktober 1880 ließen sie sich endlich im Regierungsbezirk Taschkent, im Gebiet Kaplanbeck, nieder. Einige Wochen später traf ein zweiter Zug mit dreizehn Familien aus der Köppentaler Gemeinde ein. Ungefähr um dieselbe Zeit traf auch ein dritter Zug aus der Petersgemeinde in der Molotschna und aus Polen ein (Also, die Schriften von Claas Epp hatten auch Verbreitung bei den in Polen zurückgebliebenen Mennoniten gefunden und einige, durch die Ereignisse ihrer Zeit verängstigt, schlossen sich diesem Abenteuer an).
Der Generalgouverneur von Taschkent, von Kaufmann (ein General deutscher Abstammung. Im Zarenheer gab es viele Deutsche), hatte diesen Mennoniten die Wehrlosigkeit völlig zugesichert. Plötzlich aber starb er, noch bevor es zu einer schriftlichen Bestätigung seines mündlichen Versprechens gekommen war. Von Kaufmanns Nachfolger, General Kolpakowsky, wies das Anliegen in der Frage der Wehrlosigkeit zurück. Am 25. Juli 1881 mussten die Auswanderer Kaplanbeck räumen und siedelten bei Tschimkent von neuem an. Die wirtschaftlichen Verhältnisse gestalteten sich hier aber sehr ungünstig (Das war ein erst kürzlich erobertes Land, mit muslimischer Bevölkerung. Also war dem General daran gelegen, andere Völkergruppen zu gewinnen).
Außerdem wurden die Siedler häufig von der asiatischen Nomadenbevölkerung überfallen. Nunmehr entwickelte sich unter unseren "morgenländischen" Geschwistern eine große Uneinigkeit. Die einen verleugneten das strenge Prinzip der Wehrlosigkeit und rieten zur Notwehr bei Überfällen. Die anderen wieder waren gegen die Notwehr. Da Diebe und Räuber sie aber fortwährend überfielen, Kühe und Pferde nahmen, und ihnen auch sonst noch viel Leid zufügten, so fing man an allmählich zu glauben, dass die Gegend um Taschkent unmöglich der verheißene Bergungsort sein könne, sonst müsste doch Frieden herrschen. Die Meinungsverschiedenheiten wurden immer größer. Der Streit war nicht mehr beizulegen. In einem Punkt jedoch war man sich völlig einig: Der Ort musste aufgegeben werden. Dazu kam noch im Frühjahr 1882 der Versuch der Regierung, die Jünglinge für den Forsteidienst einzuberufen. Beide Gruppen brachen nun in verschiedene Himmelsrichtungen auf.
Die eine Gruppe zog von Tschimkent ostwärts und ließ sich südlich von Aulie-Ata, em Fusse der nordwestlichen Ausläufer des Thianschan-Gebirges, unweit des Flusses Talas, zwischen den Bächen Kumitschak und Urumutal, nieder. Die andere Gruppe, die an der Wehrlosigkeit festhielt, zog südwärts. Ihr Ziel war das Tal Schahr-i-Sabs (Stadt der Mohrrüben), im Chanat Buchara.
Das Tal Schahr-i-Sabs zieht sich südlich von Samarkand, zwischen den Flüssen Amu-Darja und Syr-Darja. Hier sollte nach Jung-Stilling der Entrückungsort sein (Ein Dichter sitzt in Deutschland, phantasiert seine geistlichen Träume, bestimmt darin einen weit entfernten Ort als Wiederkunft Jesu, obwohl er nie dort gewesen ist und diese Mennoniten nehmen es wörtlich, leiden und sterben für diese "Führung Gottes", um ja genau an dieser Stelle ihre Wohnungen zu bauen und auf Jesu Kommen zu warten).
Die Regierungsbeamten von Buchara gestatteten diesen Mennoniten jedoch nicht, sich daselbst niederzulassen. Nun begab sich der ganze Zug zum Flusse Amu-Darja. Dort fand Kurswechsel statt. Die Karawane zog ab gen Norden, den Amu-Darja stromabwärts. Der Weg führte sie durch die Wüste Kara-Kum.
Die "Straße" den Amu-Darja stromabwärts wurde immer schwieriger und unsicherer. In der Nähe von besiedelten Oasen wurde die Karawane häufig überfallen. Aber die tapfern Wanderer setzten ihre Reise ins Ungewisse fort, bis eines Tages etwas ganz Fürchterliches geschah. Bei einem nächtlichen Überfall wurden einige Frauen geschändet und ermordet, eine junge Frau wurde lebend mitgenommen. Diese entführte Frau ist nie wieder zurückgekehrt (Leid und Schrecken aus Treue zu Jesus, obwohl es ein Irrglaube war).
Jedoch nicht so ganz "ohne Grund" haben diese Belästigungen und Überfälle stattgefunden. Das Chanat Buchara stand damals zwar schon unter russischer Herrschaft, die Weißen jedoch wurden in jenem Lande nicht gerne gesehen; dazu waren die Eingeborenen noch zu wild, und die weissen Eindringlinge ihnen zu fremd. Vor jedem Raubüberfall sind unsere Wanderer gewarnt worden: man forderte sie immer wieder erst ultimativ zur Umkehr auf. Auf den "Ungehorsam" folgten dann Überfälle (Die Eingeborenen glaubt, dass die Neuankömmlinge durch Bedrohung zurückschrecken würden. Die waren aber so fest in ihrem Glauben, dass sie bereit waren, jeden Preis dafür zu zahlen).
Nach dem soeben angeführten grauenhaften Geschehen, beschlossen unsere Wüstenwanderer, Halt zu machen. Es wurde eine Wagenburg gebildet, um damit abzuschrecken. Die Ruhe währte jedoch nicht lange. Bei der folgenden Aufforderung, das heilige Land des Mohammed zu verlassen, baten unsere Auswanderer um die Erlaubnis, eine Delegation zum Chan nach Chiwa entsenden zu dürfen. Gleichzeitig baten sie um sicheres Geleit für diese Männer. Die Asiaten sagten zu. Unsere Mennoniten kamen zum Chan nach Chiwa, der sie freundlich empfing und ihnen Siedlungsland zusagte.
Im Herbst 1882 traf die weiße - inzwischen wohl fast "schwarz" gewordene Karawane - bei Chiwa ein. Das erste Siedlungsland wurde den Fremdlingen am Ufer des Lausan, eines Armes am linken Ufer des Amu-Darja, zugewiesen. Die räuberischen Überfälle und nächtlichen Diebstähle der einheimischen Asiaten machten jedoch ein ruhiges Dasein unmöglich. Da sich unsere Leute nun zur Notwehr gezwungen sahen, wies der Chan ihnen neues Land zu, eine zwölf Kilometer von Chiwa entfernte Oase. Es war dieses ein Garten, der einem Verwandten des Chans gehörte.
Der Vermittler in dieser Angelegenheit zwischen dem Chan und den Mennoniten war Emil von Riesen. Nur ein kleiner Teil siedelte sich hier an, während die meisten nach Amerika auswanderten.
Der ganze Grundbesitz des Gartens umfasste nur etwas mehr als fünf Hektar. Unsere Mennoniten konnten also nicht viel Ackerbau treiben. Sie beschäftigten sich mit Gemüsebau und wandten sich dem Handwerk zu, in der Hauptsache der Tischlerei. Die Frauen waren auf Schneiderei angewiesen. Später gelang es unseren Leuten, noch bedeutend mehr Land zu erwerben. Das wirtschaftliche Übergewicht verlegte sich dadurch allmählich auf die Landwirtschaft (Mennoniten sind also flexibel. Am liebsten sind sie Landwirte, aber wenn es sein muss, dann auch Schneider, Tischler, Schreiner usw.).
Anfänglich war es besonders schwer, sich dem asiatischen Klima anzupassen. Allmählich aber akklimatisierte man sich. Dann haben unsere Leute sich dem örtlichen Baustil angepasst. Die Baufrage wurde ganz genial gelöst. Usbeken und Turkmenen bauen ihre Häuser ("Kibitka eine Nomadenhütte der Kirgisen") so, dass sie einfach lange Pfähle in die Erde schlagen, hart neben einander, dann die entstandene Holzwand und das mit Lehm beschmieren - und das "Haus" ist fertig, ohne Fenster, nur mit einer "Tür" versehen.
Unsere Mennoniten aber hatten eine für jene Gegend eine neue Methode entwickelt. Die Wände wurden aus einem Gemisch von Lehm und Sand gegossen. Es entstanden auf diese Weise ganz dicke, stabile, echte Häuserwände, mit europäischen Fenstern und Türen. Geheizt, wenn es mal nötig war, wurden die Räume durch holländische Öfen geheizt. Die innere Einrichtung dieser Mennonitenhäuser entsprach ganz genau der unserer Mennoniten im europäischen Russland und in Westpreussen. Nur das äußere Aussehen wich von dem des europäischen ab. Die Häuser hatten allesamt flache Dächer. Auch wurden sie nicht weiss getüncht. Jedes Grundstück war mit einer hohen Mauer umgeben, zum Schutz vor Rauberüberfällen (Also, äußerlich der Umgebung angepasst, im Innern aber nach mennonitischem Brauch. Grundsätzlich passten sie sich äußerlich an, wurden so für die Muslime unauffälliger, aber im Privaten behielten sie die mennonitische Lebensweise).
Anfänglich hatte man nur die Kirche gebaut, die gleichzeitig als Schulraum gebraucht wurde. Es war dieses das einzige Gebäude im ganzen Dorf, das alljährlich weiß getüncht wurde. Die eingeborenen Nachbarn sprachen daher von diesem Mennonitendorf auch immer nur, als von der "weißen Kirche", was in usbekischer Sprache "Ak-Metschet" (weisse Moschee) heisst. Unsere Mennoniten aber, die damals in der Anfangszeit auf Schritt und Tritt bemüht waren, den Nachbarn Gefälligkeiten zu erweisen, um sich die Eingeborenen zu Freunden zu machen, erblickten hierin eine solche Möglichkeit, und nannten ihre Kolonie fortan "Ak-Metschet" (daher also dieser muslimische Namen für ein mennonitisches Dorf).
Hier in Ak-Metschet sind unsere Mennoniten im Großen und Ganzen von der einheimischen Bevölkerung nicht belästigt worden. Es herrschte Ruhe, und man war fest davon überzeugt, dass endlich der richtige Bergungsort gefunden sei. Man sah den Ort als Sammlungsplatz für die Flüchtlinge aus dem Abendlande an und sechs Jahre später wurden Wohnungen für sie gebaut.